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Minimalismus der Selbstversorger

THEATER Das ökologisch korrekte Leben und der Kinderwunsch: Sie kollidieren in Duncan Macmillans Stück „Atmen“. In der Schaubühne lässt die Regisseurin Katie Mitchell dafür die Schauspieler kräftig strampeln

Strampeln, sprechen, ab und zu Wasser trinken, mit dem Handtuch den Schweiß wegwischen, das war’s

VON ANNE PETER

Nur wer in seinem Leben mindestens drei Kinder bekommen hat, soll die volle Rente bekommen. Diesen Vorschlag hat der ehemalige Wirtschaftsweise Hans-Werner Sinn unlängst im Umfeld der Koalitionsverhandlungen eingebracht. Wer das frisch im Ohr hat und an die Angst der hiesigen Politik vor der demografischen Talfahrt in eine düstere Überalterungszukunft gewöhnt ist, dem öffnet das Problem des Pärchens in Duncan Macmillans Stück „Atmen“ erst mal wohltuend die Augen in eine neue Richtung: Die biologische Uhr tickt, aber man ist sich einig, dass die einzig vernünftige Antwort auf die globalen, menschengemachten Katastrophen die Verweigerung jeglichen Nachwuchses wäre.

„Ich könnte sieben Jahre lang jeden Tag nach New York und zurück fliegen, und mein CO2-Fußabdruck wäre immer noch nicht so groß, wie wenn ich ein Kind kriege“, lautet das schlagende Argument der potenziellen Eltern. Warum also Kinder? Auf diese zentrale Frage haben sie auch nur eine jener ratlosen Antworten von uns Durchschnittsmenschen: „Ich hatte immer eine Vorstellung von mir oder ein Gefühl, ich habe mich immer als jemand definiert, der, also“. Und dann folgen Sätze mit „dickem Bauch“ und „winzigen Söckchen“.

Der hyperrealistische Text des Briten Macmillan notiert jede Pause, jedes Sich-ins-Wort-Fallen, jeden abgebrochenen Satz der beiden politisch engagierten Wohlstandsindividuen: „Wir lassen beim Zähneputzen nicht das Wasser laufen“, versichern sie sich ihres Gutseins. „Wir gehen wählen. Wir protestieren. Wir trennen den Müll.“ Doch dann folgen Fehlgeburt, Trennung, Wiedersehen, erneute Schwangerschaft. Der Rest des Lebens wird im Zeitraffer abgespult.

Katie Mitchell, eigentlich berühmt für ihr technisch höchst ausgeklügeltes Live-Film-Theater, übt sich bei der Inszenierung in der Schaubühne diesmal in Minimalismus und inszeniert ökologisch korrekt: Chloe Lamfords Bühnenbild ist aus Recycling-Material hergestellt. Der Strom, den die Aufführung benötigt, wird live auf der Bühne erzeugt. Auf zwei dunkelgrauen Quadern strampeln sich die Schauspieler Lucy Wirth und Christoph Gawenda in wurstpelliger Bikerkluft auf Hometraining-Fahrrädern ab und versorgen die vier auf sie gerichteten Lampen konstant mit jeweils 75 Watt Strom. Unterstützt werden sie von vier Mitcyclisten, die für den Betrieb der Lautsprecher, eines Mischpults und eines LED-Projektors sorgen. Der lässt über der Bühne in roter Digitalanzeige den anzunehmenden aktuellen Menschenbestand des Planeten aufleuchten: über 7 Billionen. Im Verlauf des achtzigminütigen Abends rattert die Zahl um 12.000 nach oben.

Auch das Schauspiel ist in diesem Selbstversorger-Setting notwendigerweise maximal ökonomisiert. Strampeln, sprechen, ab und zu Wasser trinken, mal mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn wischen, das war’s. Mit dem Mund dicht am Mikrofon performen sie, sie zur Hysterie neigend, er mit kumpeliger Lockerheit. Es ist schon eine Tour de Force, wie Wirth und Gawenda diesen Abend tragen, obwohl ihnen jeder nennenswerte körperliche Ausdruck versagt ist.

Mitchell hat scheinbar eine kongeniale Form für Macmillans Stück gefunden: Wie sie das ökologische Dilemma durch den Live-Hochleistungssport physisch konkret werden lässt; wie sie die Dialogdynamik mit Radumdrehungen parallel schaltet; wie die Liebespartner auf ihren weit voneinander entfernten Fahrrädern als isolierte Einzelkämpfer sichtbar werden, jeder für die eigene Beleuchtung ackernd. Das ist klar und konsequent gedacht. Und auch Mitchells Anliegen, das Überbevölkerungsthema in den Fokus zu hieven – zumal im Babyboom verklärenden Hierzulande –, ist ehrenwert.

Die Inszenierung fällt dabei allerdings auf die Figuren herein. Wo Macmillans Stück durchaus die Möglichkeit böte, ihr leerlaufendes Moralgerede zu entlarven, nimmt Mitchell die beiden durch und durch ernst. Sie wollen das Gute und schaffen doch nur Sprechblasen, schwafeln vom Bäumepflanzen und zerfleischen sich stattdessen in Missverständnissen, Eifersucht, Selbstmitleid. Ihre Konflikte sind stinknormale Paarkonflikte, die einen im Laufe des Abends in ihrer Alltäglichkeit und Vorhersehbarkeit immer weniger interessieren. Echte politische Energie lässt sich auf diese Weise nicht herbeistrampeln.

■ Wieder am 2., 9., 19., 20. 12., Schaubühne am Lehniner Platz

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