ZWISCHEN DEN RILLEN: Geerdet in der Großraumdisco
Justine Electra: „Green Disco“ (Neun Volt Records)
Kaum zu glauben, aber sieben Jahre sind seit ihrem Debütalbum „Soft Rock“ vergangen, doch heute endlich erscheint Justine Electras heiß ersehntes zweites Werk mit dem Titel „Green Disco“. Die erneute Zusammensetzung von Adjektiv und Musikrichtung soll ihrem Schaffen einen wiedererkennbaren Reihencharakter verleihen: „I’m really into branding“, lacht die australische Wahlberlinerin – und weiter auf Deutsch: „Vor allem mag ich einfache, eingängige Titel, die sich aber doch vielfach interpretieren lassen.“
Für sie persönlich stehe „Grün“ für die Erde, das Geerdetsein. Unter „Disco“ stellt sie sich eine Großraumdiskothek mit etlichen Dancefloors und Chill-Out-Zonen vor. Zusammen ergibt das so etwas wie einen „Wald, in dem wir alle tanzen“.
Tatsächlich entpuppt sich Justine Electras neues Album als abwechslungsreiche und äußerst gelungene Kombination etlicher Musikrichtungen. Schlichte Gitarre, klimpernde Kalimba und heller Gesang machen aus „Like a Magnet“ einen klassisch romantischen Folksong, während rhythmisch klatschende Hände in „Wild Country Girl“ zum Square Dance einladen. Man muss sich aber nicht lange bitten lassen. Die lodernde Klaviermelodie von „Petting Zoo“ erinnert an „School“ der Softrockband Supertramp, und der smarte „Boozie Shoes“ beschwört die erste Rap-Ballade der Musikgeschichte hervor: „I Need Love“ von LL Cool J.
Während der US-Boy im Hit von 1987 noch die Unvereinbarkeit seines Ruhmes mit wahrer Liebe beklagt, setzt Justine Electra heute einen Möchtegern-Rapper in Szene, dessen Weg zum Erfolg vom Drogenkonsum versperrt wird.
Auch die sehnsüchtig besungene Idylle vom Landleben zu zweit in „Wild Country Girl“ wird im Refrain durch „Go faster Pussycat / You can hide in here“ unterbrochen – die Frauen-Chaingang aus Russ Meyers B-Movie „Faster Pussycat, Kill Kill!“ lässt grüßen.
Das Leben samt seiner Brüchigkeit, die Liebe mit all ihren düsteren, aber oft umso verführerischen Kehrseiten, das alles schwingt mit zwischen den Zeilen vieler Songs: mal unaufgeregt verspielt, mal stechend leidenschaftlich, oft unheimlich, zweideutig und immer berührend. Dazu tragen auch die vielen kleinen Alltagsgeräusche und atmosphärischen Spielereien bei, die in die Songs einfließen, wie klirrende Schlüsselbunde, das Echo bellender Hunde, dumpfe Regengüsse oder entfernt aufgeschnappte Gesprächsfetzen.
All die Klangquellen stammen aus der unmittelbaren Umgebung der Musikerin. Electra betrachtet sie als „eine Anerkennung an die Leute, die dabei waren, als die Songs entstanden sind“ – ob in ihrem Neuköllner Heimstudio oder unterwegs auf Reisen, etwa in Kalifornien: „Ich bin mit Laptop und Festplatte herumgereist und habe viele Musiker kennengelernt. Oft spielten wir spontan in ihren Studios ein paar Songs ein – und teilweise schlief ich auch dort, bis sie mich wieder rausgeschmissen haben.“
Über 200 Tracks produzierte Electra in den letzten sieben Jahren. Die auf elf Titel beschränkte Auswahl für „Green Disco“ sei ihr natürlich schwergefallen. Ihre gefeierte, eigensinnige Coverversion von Will Oldhams „I See a Darkness“, die 2010 im Abspann von Tillmann Künzels Filmdoku „SubBerlin“ über den legendären Berliner Club Tresor lief, ist natürlich mit dabei, aber auch Songs, die es anfänglich schwerer hatten: „Bagpipe Serenade“ von 2005 wird – der Titel verrät es – von Dudelsack-Klängen untermalt und soll zunächst gar nicht gut angekommen sein. „Meine Fans waren erschüttert. Dudelsack? Unerträglich!“, erinnert sie sich. „Ich habe es trotzdem immer wieder gespielt und mittlerweile ist ihnen der Song sogar ans Herz gewachsen.“ELISE GRATON
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