piwik no script img

Im Theater gestrandet

THEATER Regisseur Alexander Giesche und seine Performer sehen sich die TV-Serie „Lost“ im Theater am Goetheplatz an – 111 Stunden am Stück

„Die erste Folge am Morgen ist immer die schlimmste“

Andy Zondag, Tänzer

Im Theater am Goetheplatz türmen sich Pizzakartons unter Palmen. Daneben steht ein Zelt. Regisseur Alexander Giesche und sein Team sind im Foyer des Kleinen Hauses eingezogen, um die Fernsehserie „Lost“ zu gucken – alle 134 Episoden am Stück. Für Giesche ist dieses „Recherchecamp“ Vorbereitung einer eigenen Interpretation des Stoffs als Performance und damit „die längste Leseprobe in der Geschichte des Bremer Theaters“.

Das Projekt ähnelt dem Ausgangspunkt der Serie: Die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes stranden auf einer einsamen Insel und werden mit übernatürlichen Ereignissen konfrontiert.

Das „Abgeschiedensein von der Außenwelt“ findet für Giesche nicht erst in der Extremsituation dieses Camps statt: „Fernsehen ist immer ein Rückzug ins Private. Insbesondere seit Serien auf DVD jederzeit verfügbar sind.“ Im Gegenzug sei aber auch die öffentliche Dimension des Konsums immer größer geworden. Internetforen, Twitter oder Facebook ermöglichen direkten Austausch über das Gesehene. Auch die Veranstaltung im Theater lässt sich über Live-Stream im Internet verfolgen.

Während hier beim Fernsehen zugesehen werden kann, läuft der übliche Betrieb im Kleinen Haus weiter. Als am Montagabend eine andere Veranstaltung im Foyer stattfindet, werden zwar Vorhänge zugezogen, das deutlich hörbare Dröhnen aus dem Fernseher sorgt aber weiter für irritierte Blicke – und für Zuschauer: Einige Gäste bleiben gleich hier und gucken mit, bis um drei Uhr nachts die Schlafpause eingeläutet wird.

Nach fünf Stunden Schlaf geht es am Dienstag beim Frühstück weiter. „Die erste Folge am Morgen ist immer die schlimmste“, sagt Tänzer Andy Zondag und verkriecht sich unter einem Kissen, „danach geht’s dann aber.“ Und es gibt schon wieder Besuch: TheatermitarbeiterInnen kommen vorbei, aber auch Interessierte von draußen sind willkommen.

Zwischen Müslipackungen und Brötchentüten liegt Literatur. Auch die Theoriearbeit ist Teil des Projekts. Als die DVD gewechselt wird, bietet Giesche den gerade etwas ratlosen Mitguckern die „Lost Encyclopedia“ zur weiteren Recherche an. Die wollen am frühen Morgen aber lieber Fruchtzwerge.

Auch wenn auf die Schnelle niemand den aktuellen Wochentag nennen kann, ist die Gruppe sicher, bis zum Ende durchzuhalten. „Zur Qual“ solle das aber nicht werden, sagt Giesche. „Wenn wir nach zwei Tagen gemerkt hätten, dass es nicht geht, hätten wir abgebrochen und wären dann eben grandios gescheitert.“

Danach sieht es aber nicht aus. Wenn die letzte Folge am Donnerstag gelaufen sein wird, steht als nächstes die Bauprobe an. Irgendwo unter den Pizzapappen liegen erste Entwürfe des Bühnenbildes herum. „Spruchreif ist davon noch nichts“, sagt Giesche. Bis zur Premiere im Mai werde da noch viel „gesponnen und experimentiert“.  JAN-PAUL KOOPMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen