: Im türkischen Exil
VERFOLGUNG Über 4.000 Flüchtlinge aus dem Iran halten sich zurzeit in der Türkei auf. Sie warten, meist traumatisiert, auf Nachrichten aus der Heimat – und auf ein Visum für ein Drittland
■ Asyl in der Türkei: Die Türkei hat ein völlig antiquiertes Asylrecht aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, das auf Flüchtlinge aus Europa abgestimmt ist. Wollen Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Afghanistan oder aus Afrika in der Türkei bleiben, geht das in der Regel nur, wenn das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Vermittlung in ein Drittland abgelehnt hat und die betreffende Person schon lange in der Türkei lebt.
■ Asyl außerhalb: Die meisten Flüchtlinge wollen ohnehin nicht in der Türkei bleiben. Sobald ein Flüchtling die Türkei erreicht hat, muss er sich beim UNHCR registrieren lassen. Dann wird er einer Stadt zugewiesen, in der er sich für die Dauer seines Verfahrens aufhalten muss. Nach einigen Monaten wird der Flüchtling beim UNHCR in Ankara vorgeladen und muss sich erklären. Dieses „Interview“ entspricht der Befragung durch die Asylbehörde in Deutschland. Falls der UNHCR den Antrag nach Monaten akzeptiert, kann es noch einmal Jahre dauern, bis das Flüchtlingshilfswerk einen Platz in einem europäischen Land, in Kanada oder den USA gefunden hat. Die Flüchtlinge müssen das Drittland akzeptieren, das ihnen zugewiesen wird. (jg)
AUS KAYSERI JÜRGEN GOTTSCHLICH
Sie spricht leise, schaut auf den Tisch und hebt nur gelegentlich den Blick. Auch im Kreis IHRER Bekannten wirkt sie verloren. Berichten will Nülifer* nur allein, mit einer Dolmetscherin ihres Vertrauens. Auch Monate nach den Ereignissen im Iran fällt ihr die Schilderung ihrer Erlebnisse schwer. Wurde sie verhaftet oder entführt, waren ihre Peiniger Polizisten oder zivile Schergen des Regimes?
Nülifer kommt aus Teheran, sie lebt jetzt seit vier Monaten in der Türkei. Sie ist eine erklärte Gegnerin des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und des ganzen Systems der islamischen Republik. Aber sie ist auch eine zurückhaltende, eher vorsichtige Frau in mittleren Jahren, niemand, der sich gerne öffentlich profiliert. Trotzdem, nach der verschobenen Präsidentschaftswahl vor einem Jahr, ist auch sie auf die Straße gegangen. Sie hat demonstriert und Slogans der Grünen Bewegung gerufen. Dabei wurde sie fotografiert und die Fotos wurden ihr zum Verhängnis. Nach einer Demonstration Anfang des Jahres kamen zwei Männer in Zivil und verschleppten sie und ihren 16-jährigen Sohn in eine Wohnung. Man zeigte ihr die Fotos, um ihr zu sagen: Wir haben dich in unserer Gewalt. Wenn du nicht tust, was wir wollen, bringen wir dich und deinen Sohn ins Gefängnis.
Glück im Unglück
Eine Woche lang wurde sie in der Wohnung festgehalten und immer wieder vergewaltigt. Ihr Sohn musste Drogen schlucken und wusste kaum noch, wo er sich befand. Nach dieser Woche ließ man sie gehen, allerdings mit der Drohung, sie jederzeit wieder zu holen. Nülifer glaubt, dass die Männer Geheimdienstler waren. Ob sie auf eigene Rechnung oder im Auftrag ihrer Vorgesetzten handelten, weiß sie nicht. Es spielte auch keine Rolle, denn sie konnte sich ja an keine staatliche Institution wenden. Ein befreundeter Arzt versorgte ihren Sohn in einem Krankenhaus, sie selbst wollte sich umbringen. Doch Freunde brachten sie und ihren Sohn in eine Stadt nahe der türkischen Grenze, wo sie sich in einen Bus setzten und losfuhren. Iraner können ohne Visum als Touristen in die Türkei einreisen. Nülifer hatte Glück im Unglück, ihr Name stand noch nicht auf der Fahndungsliste und die Grenzsoldaten ließen sie passieren.
Jetzt ist sie in Kayseri, einer Millionenstadt in Zentralanatolien, gut fünf Autostunden östlich von Ankara. Ausgerechnet dieses konservativ-religiöse Zentrum in Anatolien ist nun die größte Auffangstation für die Menschen, die vor dem islamistischen Regime im Iran geflohen sind. Die Flüchtlinge müssen sich beim UNHCR in Ankara registrieren lassen und können dann zwischen mehreren anatolischen Provinzstädten auswählen. Rund 2.000 Mitglieder der Grünen Protestbewegung gegen Amadinedschad sitzen nun in Kayseri fest, schätzt Hami Taghani. Er ist selbst mit Frau und Kind vor neun Monaten in die Türkei geflohen und gehört damit zu den Ersten „Grünen“, die in Kayseri ankamen. Insgesamt sind rund 6.500 iranische Flüchtlinge beim UNHCR in Ankara registriert, ungefähr 4.200 von ihnen kamen nach der Wahlfälschung. Einige Apartmentblocks in einem Viertel am Rande des Zentrums von Kayseri werden mittlerweile überwiegend von iranischen Flüchtlingen bewohnt. Im Park hier, meint Hamis Frau Mehrwash, höre man schon mehr Farsi als Türkisch.
Teure Mieten
Die Flüchtlinge leben nicht in Lagern. Die Wohnungseigentümer lassen sich aber von den Iranern gut bezahlen. Rund 3.000 Euro im Voraus für eine Jahresmiete sei üblich in seinem Straßenzug, der Bozanti Caddesi, erzählt Hami. Im 7. Stock eines dieser Häuser leben jetzt die Daneshuars. Das „Daneshuar Music Ensemble“ ist im Iran ein bekannter Name, der Familientruppe gehörte ein Musikinstitut. Sie gaben international Konzerte. Ein Auftritt während einer der Kundgebungen zu Ehren von getöteten Demonstranten führte zu anonymen Drohungen am Telefon, ein Schlägertrupp des Regimes drang in ihr Institut und zerschlug Instrumente und technische Ausrüstung. Kurz darauf wurden vier Mitglieder der Familie verhaftet, einen Tag und eine Nacht von der Geheimpolizei verhört. Eine Woche später erhielten sie eine Vorladung zum Revolutionstribunal. Freunde und Eltern der Familienband rieten dringend dazu, der Vorladung nicht mehr Folge zu leisten und stattdessen zu verschwinden. Sie versuchten es mit dem Zug von Teheran ins türkische Van. Der Zug wird häufig von Bahai benutzt, einer religiösen Minderheit, die ebenfalls nach und nach das Land verlässt, aber als unpolitisch gilt. „Wir haben uns zwischen den Bahai versteckt“, meint Babak, der älteste Bruder in der Band.
In Kayseri sehen sie nun einer ungewissen Zukunft entgegen. Sie wissen nicht, wie lange sie in der Türkei bleiben müssen, wann sich ein Drittland findet, das sie aufnimmt und den Stillstand damit beendet. In der Türkei dürfen sie nicht auftreten, weil Flüchtlinge generell nicht arbeiten dürfen. Finanzielle Unterstützung von der UN oder türkischen Institutionen gibt es aber auch nicht. Im Gegenteil, die Flüchtlinge müssen alle sechs Monate eine Steuer in Höhe von 350 Lira (rund 180 Euro) zahlen. Deshalb plagt alle die Angst, dass ihre Ersparnisse aufgebraucht sind, bevor sie ein sicheres Asyl gefunden haben. Obwohl die Grüne Bewegung gegen Ahmadinedschad hauptsächlich vom Mittelstand getragen wird und auch die Flüchtlinge in Kayseri nicht zu den Allerärmsten gehören, konnten viele kaum etwas ins Exil retten. Ihre Konten im Iran wurden beschlagnahmt, „unser Musikinstitut, von dem wir gelebt haben, ist geschlossen“, sagt Babak Daneshuar. Für die meisten war die Flucht deshalb auch die Aufgabe einer bürgerlichen Existenz.
Über die grüne Grenze
Hami, der gut Englisch spricht, ist Professor für Biogenetik und hatte einen Lehrstuhl an der Teheraner Universität. Er war schon vor der gefälschten Wahl ein ausgewiesener Regimegegner, wurde mehrere Male verhaftet und zuletzt so schwer gefoltert, dass er nun ständig Medikamente braucht. Als Hami floh, wusste er, dass er gesucht wird. Es gelang ihm, einen Piloten zu bestechen, der ihn getarnt als Kabinensteward an Bord eines Flugzeugs schleuste, wo Frau und Kind schon auf ihn warteten. Zusammen flogen sie ins benachbarte Aserbaidschan nach Baku. Von dort kam die Familie dann in die Türkei.
Viele, vor allem jüngere Leute aus der Protestbewegung nehmen, anders als Hami, den mühseligen Weg über die grüne Grenze und durch die Berge in die Türkei auf sich. So die acht jungen Leute in Nevsehir, einer kleineren Stadt 70 km westlich von Kayseri, die nun in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Die Mitglieder der WG begreifen sich als SozialistInnen, die sich auch von den Reformern um Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi nichts erhoffen. „Als Mussawi Premierminister von Chomeini war, wurde meine Mutter ermordet“, erzählt Tina, eine junge Ärztin, „wie soll ich ihm da vertrauen?“ Sie betreut iranische Flüchtlinge in Nevsehir, die es sich nicht leisten können, zum Arzt zu gehen. „Fast alle haben psychische Probleme“, sagt sie, „sie haben immer noch Angst.“ Ein Student ist überzeugt, erst vor wenigen Tagen einen iranischen Geheimdienstler in Nevsehir entdeckt zu haben. „Die Beziehungen zwischen Achmadinedschad und der türkischen Regierung sind gut. Die Geheimdienste kooperieren“, ist er überzeugt. „Wir können jederzeit ausgeliefert werden“, fürchtet er.
Umso dringender hoffen sie auf eine Aufnahme im Westen. Doch die Nachrichten sind schlecht. Die skandinavischen Länder haben ihre Kontingente ausgeschöpft und wollen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, Deutschland hat gerade einmal 50 Flüchtlinge akzeptiert. Niemand von den acht jungen Leuten aus der WG in Nevshehir weiß, was in den nächsten Monaten auf ihn zukommt. Doch sie geben die Hoffnung nicht auf, dass sich auch im Iran die Dinge wieder grundlegend ändern können. Dabei haben sie ein berühmtes Beispiel vor Augen. Ausgerechnet Ajatollah Chomeini, der Gründer der islamischen Republik, hielt sich in den 70er Jahren mehrere Monate als Flüchtling in Nevsehir auf, bevor er nach Paris gehen konnte. Damals, sagt einer der Studenten, hatte auch Chomeini kaum eine realistische Chance, wenige Jahre später stürzte er den Schah. „Auch heute ist im Iran alles möglich“.
* Name redaktionell geändert
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