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Eine Zensur findet statt – vergeblich

Jeden Abend aktualisiert Pham Thi Hoai von ihrem Berliner Schreibtisch aus ihr vietnamesisches Onlinemagazin. „talawas“ schreibt über Homosexualität und veröffentlicht kritische Literatur. Das ärgert die Behörden in Hanoi. Und freut die 8.000 Leser

„tala“ heißt auf Vietnamesisch „wir sind“, „was“ ist das deutsche Fragewort

VON MARINA MAI

Im Moment besteht der neue Schwerpunkt nur aus einigen Telefonnummern. Pham Thi Hoai, Chefredakteurin des Onlinemagazins „talawas“, plant einen Themenblock über das vietnamesische Leben in Berlin. Um Korruption in der vietnamesischen Botschaft soll es darin gehen, um die vietnamesische Subwirtschaft und um Kriminalität. Drei Themen, drei oder auch mehr Autoren müssen gefunden werden. Wie jeden Abend sitzt die 46-Jährige vor dem Computer in der Schönhauser Allee.

talawas ist das ambitionierteste vietnamesischsprachige Onlinemagazin, das außerhalb Vietnams gefertigt wird. Der Name ist ein vietnamesisch- deutsches Patchworkwort. „tala“ heißt „wir sind“, „was“ ist das deutsche Fragewort.

Es entsteht jede Nacht am Schreibtisch der in Berlin lebenden Schriftstellerin Pham Thi Hoai. Virtuell ist die Chefredakteurin und Herausgeberin von dort aus mit 16 weiteren Redakteuren in Vietnam, Frankreich, den USA, Kanada und Deutschland verbunden. Es sind Universitätsprofessoren, Informatiker, Journalisten und Künstler.

„Täglich entstehen vier Essays und viele Forenbeiträge mit Leserdiskussionen“, sagt die selbstbewusste Vietnamesin über ihre Seite. Sie bietet Platz für Literatur und Kunst, für Politik, Sport, Philosophie und Religion. Alle Beiträge sind auf Vietnamesisch verfasst, Beiträge nichtvietnamesischer Autoren wie etwa Friedrich Dürrenmatt werden übersetzt und das Original wird verlinkt.

„Wenn es bei uns Mitternacht ist, beginnt in Vietnam der Tag“, sagt Hoai. „Dann soll die neue Ausgabe im Netz sein.“ Neben ihrem Job als Übersetzerin, ihrer Berufung als Schriftstellerin, „die mir das Geld für meine Reisekasse einbringt“, und ihren Pflichten als Mutter eines Sohnes fertigt die Vietnamesin seit fast fünf Jahren jeden Abend eine Ausgabe des Onlinemagazins.

Es informiert über den letzten Parteitag in Vietnam, bringt in Vietnam verbannte Belletristik auf den Bildschirm und provoziert mit Tabuthemen wie Homosexualität. In einem Forum können Leser über die Texte diskutieren. „Ich würde mich zu Tode langweilen, wenn es da keine Kontroversen gäbe“, sagt Pham Thi Hoai.

Damit spricht sie etwas aus, was in der auf Harmonie ausgerichteten vietnamesischen Kultur alles andere als selbstverständlich ist. Wie alle anderen Redakteure, Fotografen und Autoren arbeitet sie ehrenamtlich. Die kleine Frau weiß genau, warum alle auch ohne Geld mitziehen: Weil es in Vietnam eine Medienzensur gibt. „talawas“ umgeht sie von Berlin aus. „Ohne die Zensur in Vietnam gäbe es unsere Website nicht“, sagt sie.

Besonders stolz ist die studierte Archivwissenschaftlerin auf ihre Onlinebibliothek, sie nennt sie das „Prachtstück“ des Projektes. In aller Welt sammeln ihre Mitstreiter vietnamesischsprachige Belletristik zusammen, die in Vietnam der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Darunter ist viel Literatur, die in Südvietnam vor 1975 entstand und in Hanoi nicht zum Kulturgut zählt.

Autoren und Leser von „talawas“ sind Intellektuelle. Zwischen 6.000 und 8.000 Mal am Tag wird die Seite aufgerufen – in vielen Ländern der Welt. „Ich hätte nie vermutet, dass in lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien und Mexiko oder in Südafrika Vietnamesen leben“, sagt Hoai. „Aber es ist eine Tatsache, dass wir dort Leser haben.“ Vietnam selbst steht unter den Nutzerstaaten nur an zehnter Stelle. talawas“ missfällt den Zensoren in Hanoi. Sie haben die Website im Mai 2004 mit einer Firewall belegt. Nur über einen Umweg kann man sie mühevoll finden.

Als Anlass vermutet die Schriftstellerin die „talawas“-Werbung für eine Lesung im Hanoier Goethe-Institut im Mai 2004. Geladen war der Schriftsteller Bui Ngoc Tan, der in Vietnam viele Jahre in Arbeitslagern zugebracht und seine Hafterinnerungen aufgeschrieben hatte. Am Tag nach der Lesung war die „talawas“-Website von den Schirmen in Vietnam verbannt – ohne offizielle Begründung. „Aus Insiderkreisen haben wir gehört, das Verbot ginge auf eine Sitzung der Abteilung für Kultur und Ideologie der Parteiführung zurück“, sagt Pham Thi Hoai. „Dort soll man zu der Erkenntnis gekommen sein, unsere Website sei bereits zu tief in den politischen und gesellschaftlichen Dialog in Vietnam eingedrungen.“

Internet: www.talawas.de

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