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WER AUS MARZAHN KOMMT, AMÜSIERT SICH IM Q-DORF, DER CHARLOTTENBURGER GEHT LIEBER NACH MITTE: IDEALER AUSTAUSCHWie schreibt man noch mal Distinktion?

VON JAN JOSWIG

Die Synchronizität aller Ereignisse ist die Droge unserer Zeit. Der Mouseclick ersetzt das Hasch-Pfeifchen, das sich Walter Benjamin vor hundert Jahren noch anzünden musste, damit ihm die „profane Erleuchtung“ erscheine. Heute passiert alles gleichzeitig, ich glaube, mein psychedelisches Schwein pfeift.

Einmal sensibilisiert, kann man sich den Synchronizitäts-Kick auch offline geben: Opernpalais – Q-Dorf – Opernpalais an einem Abend. Getrennteste Welten im Zeitraffer vereint. Beim Sommerball des Opernpalais in Berlins Osten schwärmen die Charlestontänzer von ihren neu entdeckten Altbauwohnungen in Berlins Westen, in Charlottenburg: „Halb so teuer wie Prenzlauer Berg, doppelt so viel Stuck.“ Vor dem Q-Dorf am Charlottenburger Kurfürstendamm beharren die Hardstyle-Tänzer auf den Vorzügen von Berlins Osten, den Neubauten in Marzahn: „Im Osten ist man einfach netter zueinander. Und die Russen prügeln die Nazis raus.“

Die Geste zählt

Es herrscht ein allgemeiner nächtlicher Kreuzverkehr, nur in entgegengesetzte Richtungen. Hier wie dort zupfen sich die rausgeputzten Menschen in gleicher Weise an ihren Halsgeschmeiden und Glitzeroberteilen herum. Na gut, im Opernpalais sind es die Damen, im Q-Dorf die jungen Herren. Die Geste zählt. Und vor dem Q-Dorf parken genauso viele schwarze SUVs wie vor dem Opernpalais. An denen vor dem Q-Dorf lehnen Typen mit Gebirgsmuskulatur und „Conan, der Barbar“-Pferdeschwanz. An denen vor dem Opernpalais prangen hinten Gestütsaufkleber. Man ist sich einig: SUVs und Pferde geben ein gutes Statuspaar ab.

Unten in der tropischsten der vier Discos im Q-Dorf schenken Leggings-Ladys so etwas Ähnliches wie Sangria aus 3-Liter-Flaschen in die hochgereckten Hälse. Ich trage mein originales Seersucker-Sakko von Brooks Brothers (zwei Euro auf dem Schöneberger Flohmarkt) in Weiß-Hellgrau und traue mich nicht ran, wegen der beerenfarbigen Spritzer (obwohl Beerenfarben gerade der Hit der Saison sind, aber nein, ich habe mir letztens schon im Atelier von Tal R meine weißen Leinenschuhe mit hellen Bordeaux-Klecksen auf aktuellen Stand bringen lassen, das reicht).

Die Dame, dir mir später im Opernpalais ihren Rotwein auf den Sakkoärmel kippt, trägt zwar auch Leggings. Sie ist mir aber gleich viel unsympathischer. Das „Capital Dance Orchestra“ mit seinem geigenden Teufelsdirigenten steuert das Opernpalais zielsicher gen Frank-Sinatra-Himmel und ich vergleiche die x-beinigen Scott-Fitzgerald-Tänzer mit den Hardstyle-Verschränkungen (nein, es ist nicht mit Jumpstyle und schon gar nicht mit Tecktonik zu vergleichen und Scooter sind nur plagiierende Weicheier!) im Q-Dorf. Bei den Q-Dorf-Beinen wird mir weitaus schwindliger. Wie, frage ich mich, schreibt man noch mal Distinktion?

Ich stülpe mir auf der Opernpalais-Tanzfläche die Kopfhörer meines MP3-Players über und drehe die „Headhunterz“ auf, die sind ultimo im Hardstyle. Jetzt fühle ich mich wie Sophie Marceau im Coming-of-age-Klassiker „La Boum“, als sie auf der Discotanzfläche über Walkman mit ihrem Partner zum Klammerblues von Richard Sandersons „Reality“ schmust, während alle anderen zappeln. Bei mir ist es nur umgekehrt, natürlich, die anderen schmusen, ich mache die Tarantel.

Aber im Ernst, haben Sie noch einen Blick für die Unterschiede? Ich zumindest habe ihn irgendwann verloren an diesem Abend im Raum-Zeit-Kontinuum, um den Walter Benjamin mich verdammt beneidet hätte.

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