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Im Schoß der Theater-Familie

DIE BÜHNE UND DIE MAFIA Tomas Schweigen gastiert mit „Der Pate I–III“ am HAU. Kochen und Blutvergießen stehen im Dienst des Kollektivs

Prozesse des kollektiven Zusammenseins haben es dem Theatermacher Tomas Schweigen angetan

VON SIMONE KAEMPF

Man kennt das von italienischen Opernsängern, die nach Ende der Vorstellung, nach all den Arien, der Empathie und der gesanglichen Endstufe der Not nur noch eines wollen: heim zur Mama. Das Ende von Tomas Schweigens „Pate I–III“, wenn der gealterte Corleone, ja jener Don Michael Corleone, nochmal auf seine Frau trifft, lässt sich damit in gewisser Weise vergleichen. Nach all den Intrigen, Schießereien, Verrat, mafiosen Schiebereien, aber dem Leerlauf, der Selbstbefragung, dem gemeinsamen Musizieren flüchtet er sich verbal zurück in den Schoß der Familie und wäscht seine Hände in Unschuld: „Ich habe mein ganzes Leben doch nur meine Familie beschützen wollen.“

Die ist allerdings kein Zufluchtsort mehr. Der Corleone-Clan ist längst in der Auflösung begriffen. Der Patron hat im Racherausch selbst dafür gesorgt, und auch die Zuschauer bekommen jetzt ihr Rausschmeißerlied: die ohrwurm-hafte Paten-Melodie in der Balkan-Pop-Variante, und das ist dann nochmal eine bewundernswerte Energie-Mobilisierung nach dreieinhalb Stunden, die man größtenteils an einem rotkarierten Riesenfamilientisch verbringt. Wo la familia Corleone zwischendurch Pizza serviert, die der Bringservice in hohen Pappschachtel-Stapeln hereinträgt und sich der Abend mithilfe solcher Wirklichkeitseinschübe nicht nur von der Filmvorlage löst, sondern auch mit dem Theaterraum sein Spiel treibt.

Drei Teile hat die von Tomas Schweigen und seiner Gruppe Far a day Cage in Zürich erarbeitete Inszenierung des „Paten“, die bis Samstag am Hebbel am Ufer gastiert und sich anfangs ihr Vergnügen damit macht, Marlon Brando nachzuspielen. Der Schauspieler Jesse Inman ist mit dunklem Anzug, künstlichen Hamsterbackenimplantaten und angeklebtem Bärtchen ganz auf den Italo-Gauner getrimmt, der am Hochzeitstag seiner Tochter in kurzen schnellen Szenen krumme Geschäfte einfädelt. Je stärker beteuert wird, dass es nur ums Geschäftliche geht, desto familiärer wird allerdings die Szenerie. Inmans Don Vito krempelt die Ärmel hoch und schmeckt höchstpersönlich am Herd, der erst mal das einzige Bühnenrequisit bleibt, das Tomatensugo ab. Nach und nach treten die Schauspieler aus ihren Rollen, kommentieren Handlung und Filmgeschehen, streuen Anekdoten über die Entstehung des Films ein und über ganz allgemeine Arbeits-, Dreh- und Entstehungsbedingungen, die nach und nach in den Mittelpunkt rücken.

Prozesse des kollektiven Zusammenseins haben es dem Theatermacher Tomas Schweigen angetan. Seine jüngste Arbeit „MyState“, am Theaterhaus Jena im Mai auf die Bühne gebracht, beginnt etwa mit einem zehnminütigen Vorspiel, in dem fast wie in Stanley Kubricks „Odyssee im Weltraum“ eine Handvoll WG-Bewohner in einen Hinterhof ausschwärmt, heimisch wird, frisst, streitet, bei der Gemeinschaftsbildung in Konflikte ausbricht, die Möglichkeit der Bewaffnung entdeckt und im Weiteren die Rituale der Staats- und Souveränitätsgewinnung durchspielt. „Pate I–III“ geht wiederum den Weg von nachgestellten Filmszenen über das gemeinsame Pizzaessen hin zu erfundenen Dreharbeiten, die erst nach allerlei Querelen und Verstrickungen zustande kommen. Ein Schauspieler will unbedingt den bad guy spielen, der Hauptdarsteller des Don Corleone hat reichlich seltsame Szenen-Ideen. Es geht an diesem Abend bald nicht mehr allein um die familiären Verstrickungen der Corleones, sondern es geht vor allem um die heterogene Schauspieltruppe, die in ihrer familienähnlichen Organisation nicht minder den Dynamiken der Kollektivbildung unterworfen ist wie der mafiöse Clan.

Die ursprüngliche Filmhandlung kreuzt Schweigen im „Paten I–III“ mit den mythenbeladenen Anekdoten rund um Coppolas Dreharbeiten. Die Live-Entstehung des Theaterstücks ist ganz offen beeinflusst von den Machtspielen hinter der Bühne. Auf formaler Ebene funktioniert diese ästhetische Durchlässigkeit hervorragend, Szenen wechseln gleitend, alles bleibt im Fluss. Nicht umsonst wurde der Abend zu den wichtigsten Festivals der freien Szene – „Impulse“, „Spielart“ in München und „Auawirleben“ in Bern – eingeladen. Von leichter Hand, ohne falsche Töne ist dieser Abend auf die Bühne gebracht, sieht man von einigen überdrehten Befindlichkeitsjammereien am Ende ab. Über das reine Spiel hinaus wirft die Parallele zwischen den mafiosen familiären Strukturen und den Verstrickungen bei der Kunstproduktion am Ende aber doch mehr Fragen als Antworten auf. Die Nähe bleibt dann doch eine nebulöse Behauptung. Diese Leerstelle füllen Schweigen und seine Ensemble dann allerdings mit Verve, Spiellust, Rotwein und Pizza.

■ „Pate I–III“ läuft ein letztes Mal heute Abend, 19.30 Uhr, HAU2

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