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Maden, aus dem Speck vertrieben

HEUCHELEI In Michael Thalheimers Schaubühnen-Inszenierung ist Molières Tartuffe der einzig Aufrechte inmitten von bigotten Untoten. Eine düstere Lesart, die der vom Klerus zensierten Urfassung des Stücks folgt

Die Verurteilung funktioniert nicht mehr, denn Tartuffe stellt die richtigen Fragen

VON ESTHER SLEVOGT

Der Limburger Protzbischof Tebartz van Elst ist in die Schaubühne umgezogen. Das ist die erste Assoziation, die Olaf Altmanns Bühne zu Michael Thalheimers „Tartuffe“-Inszenierung produziert: ein gigantischer Kasten aus Gold, dessen einziges Requisit ein in schwindelnder Höhe angebrachtes mickriges Kreuz ist. Und ein Ledersessel, wie er sonst in Chefetagen steht. In diesem schimmernden Prachtsetting steht eine verbiestert blickende Figur in schwarzer Priestersoutane, das Gesicht weiß geschminkt. Bald fängt sie an zu geifern und zu zetern, gegen die Eitelkeit und andere Untugenden. Eine Made, die gegen den Speck agitiert, in dem sie steckt. Der goldene Kasten fängt an zu rotieren, begleitet von schwerem Sakralsound (Bernd Wrede). Arme zombiehafte Menschlein, die sich dort eingefunden haben, werden wie Hamster im Rad sich in diesem goldenen Käfig fortzubewegen versuchen, die Wände hochgehen, abrutschen – und abstürzen. Ein zotteliger Heiliger mit schmutzigen Füßen und Schriftzeichen auf dem nackten Oberkörper wird ihnen vorausgehen. Aus dieser Goldwüste gibt es kein Entkommen, sie dreht sich nur wie ein Perpetuum Mobile. Am Ende sind die armen Würstchen, die sich hier einen Theaterabend lang um Erlösung abstrampeln, doch daraus vertrieben. Wie der Bischof aus seinem Prunkdomizil.

Doch ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht? Ist am Ende die Moral wieder ins Recht gesetzt oder Unrecht geschehen? Die Frage bleibt an diesem Abend offen: denn der die Maden aus dem Speck vertrieb, ist kein Geringerer als Molières Tartuffe – der als notorischer Heuchler und Betrüger Theatergeschichte schrieb. Der die lautere Familie des Patriarchen Orgon beinahe ins Unglück stürzt, der Dame des Hauses an die Wäsche gehen und gleichzeitig die Tochter ehelichen will. Schließlich, der Untergang der Familie Orgon ist fast schon besiegelt, gibt’s bei Molière doch noch ein Happy End.

Nicht in der Schaubühne allerdings, wo nun Michael Thalheimer den Stoff inszeniert hat. Und zwar in einer Fassung, von der die Molière-Forschung annimmt: so sah die Uraufführung einmal aus, die dann auf Betreiben des angegriffenen Klerus’ verboten wurde und von Molière zu jener Fassung abgemildert werden musste, als die uns das berühmte Stück bis heute geläufig ist. Thalheimer und sein Dramaturg Bernd Stegemann haben der ursprünglichen Brachialversion sogar noch eins draufgesetzt: in der Schaubühne ist Tartuffe die einzige Figur, die noch eine Glaubwürdigkeit besitzt. Alle anderen sind deformierte Zombies, Heuchler, Feiglinge und Unerlöste. Und zwar von Anfang an: wenn Felix Römer in der Priestersoutane seine Tiraden ins Publikum speit – er spielt hier die Rolle von Orgons bigotter Mutter Madame Pernelle – bis zum eisigen Tyrannen Orgon mit seinem schicken Manageroutfit (Kostüme: Nehle Balkhausen), der, um seinem Idol Tartuffe zu gleichen, eine ähnliche Zottelperücke wie der komische Armutsprediger aufgesetzt hat, dem er am Ende verblendet seinen Besitz überschreibt.

Ingo Hülsmann spielt den Orgon zwischen bibberndem Selbstmitleid und brutalem Durchsetzungsvermögen. Die Familienmitglieder sind alle tief vom Leben mit diesem Tyrannen gezeichnet. Sohn Damis, den zum Niederknien komisch Franz Hartwig spielt, macht sich am Ende eines Befreiungsversuches aus Angst vor diesem Vater in die Hose. Tochter Mariane, von Luise Wolfram als debiles Verzweiflungspaket gezeichnet, findet im tumben Jammerlappen Valère den Mann fürs Leben, hingebungsvoll dämlich von Tilman Strauß gespielt. Auch das übrige Personal besteht aus schrillen, comichaft überzeichneten Untoten, die nach Erlösung lechzen, bereit zu jeder Selbsterniedrigung.

Tartuffe ist Lars Eidinger, und er spricht fast so viel Text von Molière wie aus dem Neuen Testament, etwa aus dem Matthäus-Evangelium. Somnambule Suaden anfangs, denen man nur bei großer Konzentration folgen kann. Aus dieser verhuschten Figur schält Eidinger bald eine klare und bodenständige Figur heraus, die immer wieder zorndurchschüttelt auf die Bigotterie der Welt reagiert. Das schafft Verwirrung: die gewohnheitsmäßige Verurteilung dieser Figur funktioniert nicht mehr. Man fragt sich gar, ob Tartuffe nicht als Einziger die richtigen Fragen stellt. Manchmal wehrt sich das Stück gegen Thalheimers Lesart, nicht alles funktioniert. Trotzdem ist es ein kleines Virtuosenstück, das die Schaubühne zu Weihnachten präsentiert.

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