: Junge Frau mit Kamera
FOTOGRAFIE Berlin und Paris, zwanziger Jahre: Die Berlinische Galerie präsentiert das fotografische Werk von Marianne Breslauer
VON WILFRIED WEINKE
Ihre fotografische Laufbahn umfasste zwar nur eine Dekade, aber die in Berlin-Dahlem geborenen Marianne Breslauer gehörte zweifellos zu den aufstrebenden Fotojournalistinnen der Weimarer Republik. Ihr widmet nun die Berlinische Galerie zu Recht eine große Werkschau. Die von der Fotostiftung Schweiz übernommene Ausstellung wurde dabei um die Werke von zehn weiteren Fotografinnen ihrer Generation ergänzt, die sich in der Sammlung des Berliner Landesmuseums befinden.
Marianne Breslauer (1909–2001) wuchs in einer kunstinteressierten Familie auf. Der Großvater mütterlicherseits war erster Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie sorgenfrei in großbürgerlichen Verhältnissen. Entscheidend für die spätere Berufswahl wurde eine Ausstellung der erst jüngst wiederentdeckten Berliner Fotografin Frieda Riess (1890–1957), die leider nicht unter den Fotografinnen vertreten ist, mit denen die Berlinische Galerie die Breslauer-Schau ergänzt hat. Als Marianne Breslauer 1925 in der Galerie Flechtheim Frieda Riess’ Fotografien sah, „merkte ich“, so ist in ihren 2009 veröffentlichten Lebenserinnerungen zu lesen, „dass sich auch mit dem Medium Photographie etwas Künstlerisches schaffen ließ, ohne dass mein mangelndes Talent im Zeichnen und Malen dabei ins Gewicht fiel“.
Im Unterschied zu anderen Berufskolleginnen, die wie Gisèle Freund ihren Werdegang auf autodidaktischem Wege beschritten, begann Marianne Breslauer eine zweijährige Lehre beim renommierten Lette-Verein in Berlin, die sie 1929 mit der Gesellenprüfung beendete; ihre Mappe „Das Porträt“ enthielt sechs Aufnahmen, unter anderem von ihrem lebenslangen Freund, dem Maler Paul Citroen. In Berlin lernte sie auch ihren späteren Mann, den Verleger und Kunsthändler Walter Feilchenfeldt (1894–1953) kennen.
Doch bevor die beiden ein Paar werden sollten, eröffnete sich der 19-jährigen Marianne Breslauer die hervorragende Gelegenheit, nach Paris zu gehen und bei dem berühmten Fotografen und Künstler Man Ray zu arbeiten. Der attestierte ihr sofort, dass sie ihre eigene Art des Fotografierens schon in sich trage. Er könne ihr keinen Unterricht erteilen, aber sie dürfe gern Atelier und Dunkelkammer benutzen. So ermutigt, erkundete die junge Frau mit ihrer Kamera die französische Metropole, die Quais der Seine, den Jardin du Luxembourg, die Schausteller an der Route d’Orleans.
Vorausbedachter Schnappschuss
Sie fotografierte Alltagsszenen, unbeachtete Momente, Nebensächlichkeiten. Bei einem dieser Streifzüge entstand ihr erstes, in der Beilage „Für die Frau“ der Frankfurter Zeitung veröffentlichtes Foto, zwei Männer mit Hüten, einer mit Melone, der andere mit Zylinder, aufgenommen von schräg hinten. Über ihre damals entstandenen Fotos urteilte sie rückblickend: „Mit der Neuen Sachlichkeit, die in den 20er Jahren im Schwange war, haben sie jedenfalls nichts zu tun. In meinen Photos liegt, wie gesagt, viel eher etwas Poetisches, und das freut mich bis heute.“ Sie suchte ungestellte Situationen und machte nur ein oder zwei Aufnahmen pro Motiv: „Damals musste man noch ziemlich genau hinsehen und eine vorausahnende Phantasie entwickeln. Dann ging es. Alle meine Bilder sind so, gewissermaßen als vorausbedachter Schnappschuss, entstanden.“
Zurück in Berlin, arbeitete sie seit Frühjahr 1930 in dem von Elsbeth Heddenhausen geleiteten Fotoatelier des Ullstein Verlages. Breslauer bezeichnete ihre dortige Tätigkeit als „zweite Lehre“, wo sie erfuhr, „was professionelle Arbeit bedeutete“. Ihre zurückhaltende Beobachtung von Menschen und Details des urbanen Lebens schlug sich in zahlreichen Fotos nieder, die in Magazinen und Zeitungsbeilagen des Ullstein-Verlages wie „Funk-Stunde“, „Der Welt-Spiegel“ oder „Die Dame“ gedruckt wurden. Dazu gesellten sich Fotos von ihrer Reisen nach Palästina (1931) sowie nach Spanien (1933), wo sie die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach begleitete. Eines ihrer bevorzugten fotografischen Themen war das Porträt der selbstbewussten und im Habitus Unabhängigkeit signalisierenden jungen Frau der Berliner Gesellschaft, die neugierig und weltgewandt die Freiheiten nutzte, die ihr die damalige, sich modernisierende Gesellschaft bot.
Eine zweite Karriere
Ihr Freund Walter Feilchenfeldt erkannte schon früh die Zeichen der Zeit. Nach einer Auktion, die SA-Männer gesprengt hatten, weil auch „entartete“ Künstler versteigert werden sollten, hatte er seine Koffer gepackt und Deutschland von einem Tag auf den anderen verlassen. Marianne Breslauer blieb zunächst in Berlin. Doch als in der Folgezeit immer häufiger nach Ariernachweisen gefragt wurde und sie nicht mehr publizieren konnte, verließ auch sie Deutschland.
Im Frühjahr 1936 heiratete sie Walter Feilchenfeldt in Amsterdam und meldete sich im Mai des gleichen Jahres „ordnungsgemäß“ polizeilich in Berlin ab. Auch wenn sie sich in Paris noch an einer Fotografie-Ausstellung beteiligte, endete ihre Arbeit als Fotografin in der Emigration: „Im übrigen war es kein absichtsvoll getroffener Entschluss, dass ich mit dem Photographieren aufhörte. Es ergab sich nach und nach von selbst, da ich über Feilchen immer mehr in den Alltag des Kunsthandels hineingezogen wurde, mit ihm durch halb Europa reiste und gar keine Zeit mehr für die anstrengende Dunkelkammerarbeit fand.“
Trotz dieses prosaischen Endes ihrer Karriere, ist in den Ende der 20er bis Ende der 30er Jahre entstandenen Bilder ein kleines, aber bedeutendes fotografisches Werk zu entdecken. Innerhalb dieses Werks fallen die 1932 in Paris entstandenen Aufnahmen von Pablo Picasso und George Braque, dem Galeristen Ambroise Vollard, dem Wall-Street-Sammler Chester Dale oder der Modeschöpferin Jeanne Lanvin, die Breslauer während der Vorbesichtigung einer Kunstauktion fotografierte, insofern auf, als in ihnen schon ihr weiterer Lebensweg als Kunsthändlerin aufscheint.
Doch diese Karriere ist ein eigenes, spannendes Kapitel ihrer Erinnerungen, die letztes Jahr, zu ihrem 100. Geburtstag, erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden „Bilder meines Lebens“. Es reicht von der berüchtigten Fischer-Auktion „entarteter“ Kunst aus deutschen Museen 1939 in Luzern über das fassungslose Gewahrwerden der wirklichen Dimension der deutschen Verbrechen nach 1945 bis zum erneuten Vertrauen in die deutsche Nachkriegsgesellschaft: 1978 ersteigert Marianne Breslauer im Auftrag deutscher Museen altdeutsche Zeichnungen auf der Londoner Hirsch-Auktion.
■ Bis 6. September, Berlinische Galerie, Katalog 26 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen