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Kuratoren zu Fall bringen

Drei Länder, 24 Museen, rund 500 Exponate: Das Projekt „After Cage“ zeigt vier Ausstellungen in vier Städten – alle per Zufallsgenerator konzipiert. Ganz so, wie es der Komponist John Cage einst wollte

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Der Kurator ist tot. Eigentlich. Wenn er nur nicht so hartnäckig wäre. Denn als der Komponist John Cage im Jahre 1992, kurz vor seinem eigenen Ableben, das Projekt „Rolywholyover. A Circus“ ersann, hatte er es auf eben jenen Berufsstand abgesehen. Statt Wissenschaftlern, die in Museen die Ausstellungen konzipieren, wollte Cage den „Zufall als Kurator“. Und der präsentierte sich als zuverlässiger Partner, auch wenn er den menschlichen Kurator nicht gleich in die Wüste schickte. Das Projekt jedenfalls war ein Erfolg. Und wird nun in der Euregio re-inszeniert.

Cages Plan, der posthum im Museum of Contemporary Art in Los Angeles umgesetzt wurde, war simpel: Kunstsammlungen und Museen im Umkreis von 30 Meilen wurden gebeten, jeweils zehn Exponate vorübergehend auszuleihen. Ein Zufallsgenerator legte fest, welches Kunstwerk wo im Museum stehen, hängen oder liegen soll. Und Cage ging noch weiter: Jeden Tag wurden die Objekte abermals zufällig bewegt. So wurden nicht nur unterschiedliche Exponate, Genres und Stile willkürlich aneinander gereiht und Differenzen sichtbar gemacht. Auch die oft ermüdende Statik herkömmlicher Ausstellungen hatte Cage so durchbrochen. Man hätte quasi jeden Tag ins selbe Museum gehen können. Ohne Langeweile.

Im Dreiländereck am Rande Nordrhein-Westfalens, wo sich Deutschland an die Niederlande und an Belgien schmiegt, macht man sich Cages Idee nun zu eigen. Sinnigerweise „After Cage“ betitelt, werden bei der Neuauflage des Projekts rund 500 Exponate aus 24 Sammlungen aller drei Länder zusammen geführt, zufällig vermischt und in vier gleichzeitigen Ausstellungen in Maastricht, Aachen, Hasselt und Lüttich gezeigt. Dass sich unter dem abstrakten, zuweilen despektierlich verwendeten Begriff „Kunst“ ein üppiger Strauß verschiedenster Farben, Formen und Intentionen verbirgt, dürfte hier mehr als deutlich werden: Unter den beteiligten Sammlungen befinden sich sowohl klassische Kunstmuseen, als auch etwa das belgische Musée de Zoologie, das niederländische Afrikacentrum oder das Rheinische Industriemuseum in Euskirchen. Neben einer konservierten Seidenspinne, der Nephilia, kann also durchaus eine Madonna beten, neben einer afrikanischen Maske eine ausgestopfte Eule aus ihren leblosen Augen glotzen.

Doch nicht bloß die künstlerische Vielfalt der Region wollen die vier initiierenden Museen, unter anderen der Neue Aachener Kunstverein, ab heute augenfällig in Szene setzen. Während das Ruhrgebiet allmächlich zur Kulturhauptstadt verwachsen will, buhlt auch die Euregio um mehr Anerkennung als zusammenhängendes Ganzes. Wobei die Grenzen zunehmend verschwimmen. Shoppingmigration etabliert sich, nicht nur unter deutschen Kiffern. Und auch Studenten nutzen die Nähe: leben etwa in Münster, studieren im holländischen Enschede. „After Cage“ setzt genau hier an, will die einzelnen Regionen nun auf einer künstlerischen Ebene verschmelzen – auch wenn dieser Gedanke nicht eben neu ist.

Freilich geschieht diese Symbiose nicht nur in den Köpfen. Bis zum Ende des Projekts, in das auch einige Künstler mit Einzelarbeiten eingebunden sind, soll eine Datenbank entstehen, ein über die bisherige Vernetzung hinausweisendes Archiv, das letztlich zum Internetmuseum ausgebaut wird. Und um das zu besuchen, muss man nicht mal die vermeintlichen Landesgrenzen übertreten.

Kommen Sie mit ins Museum? Dann machen Sie mal rasch den Computer an.

„After Cage – 24 Sammlungen in Bewegung“, versch. Orte, bis Oktober 2006Infos: www.aftercage.com

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