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„Wie wurde das Gas eingeleitet?“

Beate Klarsfeld ist als Nazijägerin bekannt geworden – und mit einer Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger berühmt. Derzeit streitet sie dafür, dass die Gedenkausstellung „11.000 Kinder“ auf bundesdeutschen Bahnhöfen gezeigt wird. Jetzt besuchte die 67-Jährige das KZ Neuengamme. Ein Rundgang

„Das muss unbedingt weg. Sonst kommt ein neuer Schill und steckt da wieder Gefangene rein“

von JAN FREITAG

Die zierliche Frau mit den fröhlichen Augen hat genau zwei Einstellungen: einen Fragemodus und einen Erzählmodus. Der Fragemodus ist aktiv, wenn ihr wichtige Details eines Sachverhalts fehlen. Meistens ist Beate Klarsfeld im Erzählmodus. Es sei denn, die Französin deutscher Herkunft befindet sich in einem KZ. Das macht sie demütig, fast schweigsam, das staucht sie etwas zusammen und nimmt ihr ein wenig jener Redseligkeit, mit der sie die Menschen sonst in ihren Bann zieht. Seit 1968 hat die Frau, die Naziverbrecher aufspürte und einen Kanzler ohrfeigte, unzählige Konzentrationslager besucht, fast alle sogar. Doch in Neuengamme war sie noch nie. Das wirft Fragen auf.

Wie wurde das Gas eingeleitet?

Wenn jemand wie die Gattin des berühmten Nazijägers Serge Klarsfeld die Gedenkstätte am Südostrand Hamburgs besucht, muss das Führungspersonal auf knifflige Fragen gefasst sein. Neuengamme war kein Vernichtungslager wie Auschwitz, das weiß auch Beate Klarsfeld. Hier wurde mit Arbeit getötet, doch als sie erfährt, dass über 400 Häftlinge an zwei Tagen in einer winzigen Baracke durch Zyklon B starben, hakt sie nach.

Warum wurden sie vergast?

Waren es Juden?

Wie viele Juden gab es hier?

„Etwa 13 Prozent“, antwortet der Museumsexperte kundig.

Und der Rest? Oppositionelle?

Nein, auch Homosexuelle, Kriegsgefangene, rassisch, religiös, weltanschaulich Verfolgte, Fremde oder fremd Gemachte. Dass ihnen allen hier angemessen gedacht wird, wäre ohne Beate Klarsfeld vielleicht nicht möglich. Nicht in dieser Form, nicht als Erkenntnis-, vor allem aber Bekenntnis-Ort. Im Jahr 1979 hat sie eine Petition unterschrieben, die vom Senat die Rückführung des Lagers, das rund 55.000 Menschen den Tod brachte, in ein Lager zu deren Erinnerung verlangte. Ein berühmter Name bringt Publicity. Ohne Sie, sagt der Museumsführer fast ehrfürchtig, wäre das hier noch ein normales Gefängnis. Beate Klarsfeld winkt lächelnd ab. Bestreiten tut sie es nicht.

Was für Häftlinge saßen hier?

Es waren vor allem Jugendliche. Im Vorjahr allerdings zogen die letzten Häftlinge der JVA nach zähem politischen Ringen doch aus. Seither bilden das Gelände, die Ziegelei, die Baracken, die Betriebs-, Unterkunfts- und Verwaltungsgebäude annähernd eine Einheit. Ein echtes Mahnmal, dessen Außenlager vom Darß über die Nordseeküste bis in den Harz eine Fläche der Größe Israels bedecken. Was da noch stört, ist der waschbetonfarbene Neubau auf den Halden des früheren Tonabbaus für die Ziegelproduktion.

Das muss unbedingt weg, sagt Beate Klarsfeld am Fuße der langen Rampe des Ziegelwerks und blickt herüber zum stacheldrahtbewehrten Knast der Gegenwart. Sonst kommt ein neuer Schill und steckt da wieder Gefangene rein. Es gibt auch hier nicht nur Fragen, auch Forderungen.

Beate Klarsfelds Leben bestand stets aus Forderungen. Kiesinger, Nazi, abtreten! Forderte sie lautstark bei jeder Gelegenheit und als der Appell außer Problemen nichts brachte, schlug sie dem NSDAP-Mitglied im Kanzlerrang auf einem CDU-Parteitag ins Gesicht. Plötzlich war sie berühmt, berühmter gar als ihr Ehemann, ein Jude, dessen Vater in Auschwitz umkam. Seit ihrer Heirat fordern sie gemeinsam Gerechtigkeit für die Opfer durch Strafverfolgung der Täter. Beides war im Deutschland bis dahin tabuisiert, verschwiegen, verdrängt, verleugnet.

Gemeinsam verfassten sie Bücher, halfen Hinterbliebenen, gründeten Organisationen, spürten untergetauchte Spitzen-Nazis auf. Klaus Barbie etwa, den Schlächter von Lyon, den Pariser Gestapo-Chef Kurt Lischka oder Alois Brunner, Mitorganisator der Endlösung. Viele derer, die sie fanden, standen in einem Netz alter Seilschaften und neuer Kameraden. Das Gedenken in Deutschland, sagt sie, sei ein Opfergedenken. Die Täter brauchte man ja noch, also ließ man die Vergangenheit ruhen oder deutete sie um.

Gibt es auch Revisionisten, die die Echtheit der Dokumente bezweifeln?

Auch in der Neuengammer Gedenkstätte scheint Beate Klarsfeld permanent auf Tätersuche zu sein. Die Dokumente sind Totenbücher, ausgestellt in schwarz verhängten Glaskästen. Akribische Auflistungen der Todesursachen im Lager zwischen 1938 und 1945, die aus Angst vor Verfall unlängst durch Faksimiles ersetzt wurden. Seither wird ihre Echtheit durchaus bezweifelt, aber durch Revisionisten? Nein, nein, der Führer wirkt erleichtert: durch Kinder. Die nämlich lassen sich durch Kopien nur schwer fesseln. Ein Stockwerk höher stehen Namen, gut 24.000, ein Teil der Toten von Neuengamme, auf großen Leinwandbahnen, nur Namen, mehr nicht.

Warum diese Häufung an einem Tag im Juni 1944? Will Beate Klarsfeld wissen, als sie wieder herunterkommt. Deportationen in Vernichtungslager, lautet die simple Antwort. Sie würden als Opfer von Neuengamme geführt. Im Computer soll Frau Klarsfeld den Namen Klarfeld eingeben. Er findet jemanden, Leon mit Vornamen. Ein Verwandter sei das wohl nicht, obwohl sie Angehörige in Amerika habe, „die sich das S gestrichen haben“.

Sie selbst kam 1939 in Berlin als Beate Auguste Künzel zur Welt. „Damals war sie noch nicht unbedingt wie heute“, erinnert sich Margit Mücke. Nicht so mutig, nicht so unberechenbar, weniger „aus dem Stand heraus“, urteilt sie über ihre alte Schulfreundin, die sie nach Hamburg begleitet hat. Das sei sie erst „durch die Bekanntschaft mit Serge geworden“. Eine Frau, die auch im Rentenalter nie zurücksteckt und immer ein Ziel verfolgt. Meistens geht es dabei um verfolgte Juden.

Und konnten welche fliehen?

Am Modell des Lagers erfährt Beate Klarsfeld, dass viele Insassen von den benachbarten Bauern als Erntehelfer angefordert wurden.

Und haben sie sabotiert?

Bis zu einem Drittel der Waffenproduktion für die Firma Walter am Rand des KZs.

Wem gehörte die Ziegelfabrik?

Der Stadt.

Haben Überlebende dafür gesorgt, dass aus dem Gefängnis eine Gedenkstätte wird?

Es war der Senat, der ein uraltes Versprechen einzulösen hatten. Andernfalls wäre womöglich Beate Klarsfeld auf den Plan getreten.

So wie für ihre Ausstellung „11.000 Kinder“? Die Sammlung von Fotos auf der Schiene aus Frankreich über Deutschland deportierter jüdischer Kinder wurde auf 18 großen französischen Bahnhöfen gezeigt. Die Deutsche Bahn verweigert Klarsfelds Organisation „Fils et Filles des Deportés Juifs de France“ ihre Stationen als Ort der Ausstellung und will sie ins Nürnberger Eisenbahnmuseum verbannen.

Um dagegen zu protestieren, wurde Beate Klarsfeld als Gastrednerin der Veranstaltungsreihe „Nur die Sterne waren wie gestern“ eingeladen. Umringt von Fotos und Erinnerungen des Auschwitz-Häftlings Henryk Mandelbaum in der Hamburger Finanzbehörde am Gänsemarkt, forderte sie am Abend vor dem KZ-Besuch Hartmut Mehdorn auf, seine Bahnhöfe für die Stellwände freizugeben.

Ich weiß auch nicht, was er dagegen hat. Sie etwa?

Sicherheitsgründe, Kostengründe, Pietätsgründe. Nein, sagt Beate Klarsfeld, er hat Angst vor den Reaktionen. Ein Gefühl, das sie selbst kaum kennt. In Neuengamme berichtet sie von Holzbaracken eines französischen Lagers, die man auf einem Bauernhof gefunden und ins „Musée de la Shoah“ nach Paris gebracht habe.

Wer hätte gedacht, dass sich Holz so lange hält?

Auch wenn es klingt wie eine Frage – Beate Klarsfeld ist wieder im Erzählmodus.

„Nur die Sterne waren wie gestern“ – Henryk Mandelbaum. Veranstaltungen und Ausstellung. Noch bis Dienstag, 27. 6. im Leo-Lippmann-Saal der Finanzbehörde Hamburg, Gänsemarkt 36

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