WM gucken mit …: Schweden im Hamburg
Samstag. 15 Uhr. Zwei Stunden vor dem Anpfiff hupt und grölt Deutschland. In Hamburg drängen die Massen in Richtung Fanfest auf dem Heiligengeistfeld. Gleich gegenüber, Feldstraße/Ecke Karolinenstraße, ein echter Geheimtipp: Schweden soll es geben im „September“, einem Lokal mit gelben Schirmen draußen und dunklem Holzmobiliar drinnen. Ja, versichert die Kellnerin, beim Spiel der Schweden gegen England seien viele Fans da gewesen. Ein Blick ins Lokal – keine Schweden. Um 16 Uhr sitzen die Fußballhungrigen bereits auf den Fensterbänken. Auf ihren Wangen aber glänzen, dermatologisch getestet: Schwarz, Rot und Gold.
Noch ein Gang durchs Lokal. Am Eingang eine Erscheinung. Drei blonde Mädchen in gelben Trikots. „Seid ihr Schwedinnen?“ „Ja“, sagt die eine, „wir sind echte Schwedinnen.“ Und die andere: „Wir waren einen Meter vom Eingang entfernt, da haben sie keinen mehr aufs Heiligengeistfeld gelassen. Jetzt bleiben wir hier.“ Anni, 22, aus Helsingbor, die auf die gleiche Schule gegangen ist wie Hendrik Larsson, Therese, 20, aus der Nähe von Ystad, die wie Anni als Au-Pair-Mädchen in Hamburg arbeitet und Helena, 24, aus der Nähe von Göteborg, die ihre Diplomarbeit in der Hansestadt schreibt.
Sie strahlen in ihren gelben Trikots mit den grellen Farben auf der Leinwand um die Wette, schwenken begeistert ihre Fähnchen. Anni hat Freund Markus, 28, mitgebracht. Auch er in gelb – und mit Deutschlandfahne um die Hüfte. „Ich sympathisiere mit den Schweden“, sagt er, „aber innerlich freue ich mich für Deutschland.“ Ein geteilter Fan. Dafür kassiert er von Freundin Anni einen mahnenden Blick und einen sanften Hieb in die Seite.
Helena hat extra zur Fußball-WM Trikot und Stofffahne aus Schweden anliefern lassen. Die schwedische Nationalhymne wird angestimmt. Die Mädchen geben alles. Gegen das, was dann folgt, klingen sie wie piepsende Mäuse – und die deutschen Fans wie das Horn des Ozeanriesen „Queen Mary 2“.
„Die Schweden sind tapfere Kämpfer“, sagt Anni. Da macht Prinz Poldi das 1:0. Kopfschütteln. „Macht nix“, sagt Therese. Die Mädchen zücken ihre Fähnchen und rufen: „Sverige, Sverige!“ Zehn Minuten später schlägt sich Anni mit der flachen rechten Hand vor die Stirn. Podolski zum 2:0. „Wir machen noch ein Tor“, sagt Helena. Gewinnen? Wohl nicht, die Deutschen sind heute übermächtig, auf dem Platz wie im Lokal. Manches Mal in den nächsten 40 Spielminuten rufen die drei blonden Mädchen noch „Komigen, Sverige, komigen“ – auf geht‘s, Schweden. Als Larsson in der 52. Minute den Ball vom Elfmeterpunkt aus übers Tor schießt, ist es mit der Zuversicht vorbei. Die Papierfähnchen knistern nicht mehr oft über deutschen Fanköpfen. Therese und Anni drehen sie lieber zwischen Daumen und Zeigefinger. Deutschland gewinnt 2:0. „Macht nix“, sagt Therese. Gleich werden sie trotzdem feiern gehen, mit ihren deutschen Freunden. Vorher aber noch ein letzter Blick auf die Leinwand: Trikottausch in München. Therese jauchzt noch mal: Christian Wilhelmsson mit nacktem Oberkörper. „Immerhin, ihr habt gewonnen“, sagt sie, „aber wir haben die schöneren Fußballer.“ Und lacht.CHRISTINA STEFANESCU
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen