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„Nur Mehl, Wasser und Salz“

Der Familienbetrieb Siebert hat das Bäckersterben überlebt. Während mittlerweile die Filialketten um ihre Kunden kämpfen, findet der Traditionalist Abnehmer für seine Waren – schon seit 100 Jahren

VON OLIVER VOSS

Wie jeden Morgen hat sich eine Schlange vor der Bäckerei Siebert gebildet. Der Grund für den Andrang ist eindeutig, findet Martin Lewald: „Es gibt in Berlin keinen besseren Bäcker.“ Mit zwei Kollegen sitzt der Elektroinstallateur am Tisch vor dem Laden und macht Frühstückspause. Jeden Tag in der Woche kommen sie zu dem Bäcker an der Schönfließer Straße in Prenzlauer Berg, nur am Montag ist geschlossen.

Siebert ist einer der wenigen, die sich den Ruhetag noch leisten. Denn neben dem Preis sind es vor allem die Öffnungszeiten, mit denen neue Wettbewerber den Handwerksbäckern das Geschäft streitig machen. Erst boten Tankstellen Brötchen bis Mitternacht, dann wurde das Backverbot am Sonntag gelockert, wovon vor allem Filialisten wie Kamps profitierten. Schließlich verkaufen immer mehr Backshops ständig „ofenfrische“ Ware. Das werbewirksame Wörtchen kam bezeichnenderweise erst mit den „Bräunungsstudios“ auf, deren Geschäftsmodell darin besteht, tiefgefrorene Teiglinge aufzubacken.

Solche Methoden sind bei Lars Siebert tabu. Hier wird jeder Teig noch selbst gemacht. „In mein Brot kommt nur Mehl, Wasser, Salz und nichts weiter“, sagt Siebert, „das ist wie das Reinheitsgebot beim Bier.“ Er hält nichts von Fertigmischungen und chemischen Treibmitteln, mit denen nach der Wende viele „Ostschrippen“ auf westliche Dimensionen aufgeblasen wurden. „Mir haben die großen Schrippen nie geschmeckt“, sagt Siebert, „da ist ja nur Luft drin, und wonach schmeckt denn Luft?“

Seine Rezepte stammen noch vom Urgroßvater Gustav, der die Bäckerei 1906 gründete. 50 Meter weiter, dort wo heute die Bornholmer Straße verläuft, begannen damals die Felder. „Die Kühe standen bis Pankow, und Gustav wurde für verrückt erklärt, weil er am Stadtrand einen Laden aufmachte“, erzählt der Urenkel. Doch die Sieberts haben bis heute Erfolg. „Älteste Bäckerei im Prenzlauer Berg“ steht an dem kleinen Geschäft, das gerade sein 100-jähriges Jubiläum feiern konnte.

Der Familienbetrieb ist jedoch eine Ausnahme. Das Bäckersterben hat viele Opfer gefordert. Hier im Viertel gab es vor zehn Jahren noch sieben Handwerksbäcker, geblieben ist nur Siebert. Dafür haben rund um den S-Bahnhof Schönhauser Allee ein gutes Dutzend Filialisten und Aufbackstationen eröffnet, die sich nun gegenseitig Konkurrenz machen. Steinecke hat gerade aufgegeben, aber mit „Bisquitte“ wurde schon wieder ein neuer Laden geöffnet. Der läuft überraschend gut, sehr zum Leidwesen der gegenüberliegenden Kamps-Filiale. Deren Umsätze haben sich halbiert. Das liegt einerseits daran, dass die Croissants der Konkurrenz 20 Cent weniger kosten. Außerdem liegt „Bisquitte“ morgens auf der Sonnenseite der Straße – für Kunden ein unschlagbares Argument bei der Wahl des Frühstücksplatzes.

Die Entwicklung ist exemplarisch für ganz Berlin. Seit der Wiedervereinigung haben 80 Prozent der Innungsbäcker ihr Handwerk aufgegeben. Allerdings scheint das Bäckersterben vorläufig ein Ende zu haben. „In den letzten zwei Jahren hat sich die Situation stabilisiert“, sagt Lars Siebert, der auch im Vorstand der Bäckerinnung ist. Er geht davon aus, dass die übrig gebliebenen Handwerksbäcker überleben (siehe unten). Sie setzen auf Qualität statt Preiskampf.

Kunden wie Martin Lewald danken es: „Ich gebe lieber ein paar Cent mehr aus und dafür schmeckt es auch.“ So sieht es auch Dieter Andrä, seit 1957 Stammkunde. „Die industriell gefertigten Sachen esse ich nur, wenn der Siebert Urlaub hat“, sagt der Rentner, „doch ich sehne den Tag herbei, wo er zurückkommt.“ Der Bäckermeister ist einer der wenigen, die sich den Sommerurlaub noch leisten. Doch das müsse sein: „Lieber fahre ich das Auto eine Nummer kleiner“, sagt Siebert.

Auch an seinem Laden ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Das Mehl wird jetzt im Keller in modernen Silos gelagert. „Das kommt auf Knopfdruck und man muss keine Säcke mehr schleppen.“ Auch das Angebot ist größer. „Die ganzen Körnersachen gab es ja in der DDR nicht“, sagt Siebert. Mit Kuchen sah es auch oft schlecht aus, denn es fehlten die Zutaten. Der Bäcker musste oft selbst nach Werder fahren, um Erdbeeren oder Pflaumen zu bekommen.

In seinem kleinen Büro zeigt er ein Foto vom 30. Jubiläum 1936, der Kleinste auf dem Bild ist sein Vater Bodo. „Damals gab es noch Kost und Logis und die Gesellen haben hier geschlafen, die Verkäuferinnen im Wohnzimmer“, erzählt Siebert. Nebenan, wo jetzt die Torten gemacht werden, waren Küche und Schlafzimmer seiner Großeltern.

Wie lange hier noch solche Geschichten erzählt werden, ist ungewiss. Einige Jahre will der 47- Jährige noch machen. Doch viele alteingesessene Bäcker haben keinen Nachfolger. „Es ist schon schwierig, geeignete Lehrlinge zu finden“, sagt Siebert. „Bei vielen scheitert es bereits daran, beim Abwiegen die Hälfte zu nehmen.“ Ob seine Kinder die Familientradition fortführen, müsse man sehen: „Mein Sohn ist erst in der 9. Klasse, doch der wird zu nichts gezwungen.“

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