: No more portraits!
GUTE VORSÄTZE Porträts von Politikern wollen Gefühl in Erkenntnis verwandeln. Ein Plädoyer für mehr Misstrauen gegen eine betrügerische Textform
VON ULRIKE WINKELMANN
Menschen interessieren sich für Menschen. Zu beschreiben, warum Menschen Politik machen und was die Politik für Menschen bewirkt, ist Aufklärung. Porträts zu schreiben ist also eine Art, Demokratie zu erhalten.
Die WählerInnen werden vom Fernsehen auf eine bestimmte Wahrnehmung von Politikern konditioniert. Oft ist das lediglich ein „Noch so ein Schwafelkopf vor der Kamera“. Doch schwingt bisweilen auch noch etwas anderes mit, etwa von der Sorte: „Hui, die kann ja spritzig sein.“ Oder: „Hat er das wieder schlau ausgefuchst, Hut ab.“ Oder auch: „Ist der eklig.“
Dieser meist eher gefühlte als überlegte Eindruck ist wichtig. Er dient der Verbindung zwischen dem Politikmedienbetrieb und dem Rest der Welt. PorträtschreiberInnen greifen solch ein Gefühl auf und wollen es in Erkenntnis verwandeln: Wenn euch diese Verteidigungsministerin demnächst als Kanzlerkandidatin begegnet, wundert euch nicht, denn ich erzähle euch jetzt, was die Frau noch alles kann. Ihr glaubt, der Spitzenkandidat ist ein kalter Arroganzling? Nicht ganz daneben, aber auch nicht ganz richtig – entdeckt mit mir seine weiche Seite. Ein Porträt kann eine Brücke sein, oh ja.
Womit aber auch schon das Problem beginnt. Denn die Brücke trägt beinahe nie. Das Politikerporträt hält selten, was es verspricht. Es ist der größte Betrüger unter den Textgattungen. Denn es stellt eine Nähe her, die künstlich ist und das nicht zugibt, die politisch aufklären will und doch meist eher verklärt.
Zur Illustration kann man auf jene Spielzeugeisenbahn in Horst Seehofers Keller zurückgreifen, die der Spiegel-Redakteur in Wirklichkeit nie gesehen hatte, weshalb er seinen Journalistenpreis denn auch wieder verlor. Auch der leitende Redakteur der Süddeutschen Zeitung hatte die Salatsoße des Verfassungsrichters Andreas Voßkuhle nie gekostet, dabei sollte die doch dessen Urteilsfindung symbolisieren. Doch das Problem mit dem Porträt ist politischer als diese kleinen Verunglückungen.
Die Autorin dieser Zeilen ahnte, dass mit dem Porträt etwas nicht stimmt, als ihr selbst vor zehn Jahren nahegelegt wurde, eines zu verfassen. Jetzt machst du seit zwei Jahren dies unverständliche Gesundheitszeugs, hieß es vom Parlamentskorrespondenten. „Du solltest jetzt mal die Gesundheitsministerin porträtieren.“ Das werde dann auch wahrgenommen. Offensichtlich galt das Verfassen eines Porträts als Ritterschlag des Hauptstadtjournalismus. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich, Neuordnung der Ärztehonorierung? Egal. Ulla Schmidt nahezukommen, das zählte.
Der Text missriet
Das Wunder geschah: Es gab Termine mit der damaligen Gesundheitsministerin, ein Frühstück auch. Niemals hätte der Pressesprecher nur fünf Minuten freigeräumt, um etwa die skandalöse Streichung der Brillen aus dem Krankenkassenkatalog zu diskutieren. Aber ein Porträt! Das war etwas anderes. Ihr Büroleiter rief sogar an Wochenenden unter der Nummer der Eltern zurück. Leitende Mitarbeiter fütterten die Autorin mit schmeichelhaften Anekdoten zuhauf über die Ministerin.
Der Text missriet in großen Teilen. Das dargebotene biografische Material – Kind einer alleinerziehenden Fabrikarbeiterin wird selbst alleinerziehende Mutter, etc. pp. – schob ich beiseite, fand aber nichts Besseres. Heraus kam mehr Parteitagsanalyse als Porträt, Tendenz: Kanzler missachtet Ministerin. Doch manchem schien dies gerade zu passen. Widersacher von Ulla Schmidt meldeten sich mit Lob: „Gut getroffen. Haha.“
Der Parlamentskorrespondent hatte recht: Porträts werden wahrgenommen. Aber das muss kein gutes Zeichen sein. Der Berliner Betrieb sortiert nicht nach hübschen Beobachtungen, sondern nach „wird hochgeschrieben“, und „wird runtergeschrieben“.
Porträts sind Machtmittel. Wenn ein Politiker die Deutungshoheit etwa über einen Gesetzesvorschlag verliert – je nun, Alltagsgeschäft. Dann sucht er sich eben woanders Unterstützung für seine Forderung. Doch die Deutungshoheit über das Bild der eigenen Person zu verteidigen gleicht einem Feldzug. Keinesfalls werden die Bedingungen aus der Hand gegeben, unter denen ein Porträt entsteht.
Die Pressestelle regelt genau, wann und wo der Journalist seinem Objekt nahekommt. Die Auswahl erfolgt zielgruppengerecht: Die Autorin der bildungsbürgerlichen Wochenzeitung erlebt die Arbeitsministerin nicht zufällig beim glanzvollen Auftritt auf internationalem Parkett. Das Umfeld wird gebrieft: Wenn XY vom wichtigen Blatt sich wegen des Porträts meldet, erzählt bitte folgende Anekdoten, verwendet folgende Adjektive. Immer dabei: eine Scheinkritik von der Sorte „zu ungeduldig“ oder „zu ehrgeizig“.
Jeder Politiker verfügt außerdem über ein eigenes Set an Geschichten für das Abgründige und Traurige. Denn sie wissen, dass es in ein Porträt gehört; besser also, sie liefern es gleich selbst. Es sind griffige Kurzberichte aus der Vergangenheit, aus denen sich stets auf die heutige Reife schließen lässt. Hinzu kommt das Füllmaterial fürs Konkrete, das ganze Kartoffelsuppe- und Saumagen-Identitätsprogramm.
Die Politikwissenschaft streitet zwar darüber, ob die Politik heutzutage stärker personalisiert und deshalb unsachlicher, also schlechter ist als in irgendeinem anderen, vermeintlich goldenen Zeitalter der Demokratie. Dass Angela Merkel die Bundestagswahl aber mit der Aussage „Sie kennen mich“ bestreiten konnte, zeigt jedenfalls, dass ihre Kartoffelsuppenbotschaft ankam. EinE PorträtschreiberIn muss derlei aufdringlichen Kitsch nicht verwenden. Doch ein Porträt soll sinnlich sein, und dazu braucht es Stofflichkeit. Ganz ohne Salatsaucen und Kartoffeln geht es also nicht.
Viel schwieriger aber ist die Sache mit den eigenen Gefühlen. Will ein Journalist eine halbwegs glaubwürdige Nähe darstellen, kann er selbst kein Schreibblock auf zwei Beinen bleiben. Ein Text, der sich von den bereits erschienenen Porträts abheben soll, muss das besondere Etwas liefern, die Formel für eine Person, die von Einfühlungsvermögen zeugt. Der Journalist wird versuchen, Vertrauen herzustellen, vielleicht nach einem langen Tag bei einer Flasche Wein oder auf der Rückfahrt im Wagen.
Nähe. Beißhemmung
Es mag sein, dass der Journalist bei solchen Begegnungen tiefere Erkenntnisse darüber gewinnt, ob sein Porträtobjekt KanzlerkandidatIn wird, vielleicht auch, woran sie oder er scheitern könnte: Eitelkeit, Mangel an Grips, Nachgiebigkeit.
Es mag sein, dass das Porträt selbst daher auch Unerfreuliches enthält. Meist kostet das den Autor Überwindung. Denn es fällt nicht jedem leicht, jemanden öffentlich schlechtzumachen, der einem die abgeschlafften Stunden im Auto noch gewidmet hat.
Gerade wenn ein Politiker in solchen Situationen nicht mehr kampfbereit wirkt, entsteht Beißhemmung. Das frisch erworbene Vertrauen, ob eingebildet oder nicht –, schon steht es einem kritischen Urteil im Weg.
Hinzu kommt, dass ein Porträt immer eine Wette auf die Erfolgsaussichten eines Politikers ist. Wer ein Porträt schreibt, setzt einen Teil der eigenen Reputation darauf, ob jemand oben bleibt, nach oben kommt – oder nicht. Genau deshalb fallen Porträts ausgerechnet über die Mächtigsten meist positiv aus, lesen sich wie ein einziges „Sie kann es“ oder „Er schafft das“. Viel stärker als in jedem Kommentar und auch jeder Reportage verwischen die Grenzen zwischen persönlichem Erfolgskalkül des Autors und seinem journalistischem Mitteilungsdrang.
Deshalb ist das Politikerporträt eine Textsorte, die mindestens so viel Aufklärung verhindert, wie sie schaffen will. Das Porträt setzt so viel Vertrauen voraus. Denn es handelt vom höchstpersönlichen Eindruck eines Menschen von einem anderen Menschen. Es verdient so viel mehr Misstrauen.
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