: Die Angst vor dem Gerät überwinden
PROJEKT Die amerikanische Firma ifixit lehrt, komplexe Elektrogeräte wie Smartphones zu reparieren. Jetzt auch mit Sitz in Europa
■ Gründer und Geschäftsführer von ifixit Europa sind Matthias Mayer (41) und Matthias Huisken (44). Neben den Gründern hat die Europagesellschaft drei Mitarbeiter. Der EU-Store ist eine Tochter der US-Gesellschaft und wurde Ende Oktober eröffnet. Die vertriebenen Ersatzteile sind sogenannte OEM-Teile (Original Equipment Manufacturer), also die gleichen Teile, die im Originalgerät verbaut werden, die ifixit aber ohne Herstellerbranding vertreibt. Hersteller dulden das. Die Urfirma wurde 2003 in Kalifornien von Kyle Wiens und Luke Soules gegründet, nicht aus einer Garage heruas, sondern aus dem Wohnheim ihrer California State Polytechnic University in Pomona.
AUS STUTTGART LENA MÜSSIGMANN
Matthias Mayer hat vor zwei Monaten eine Firma gegründet und arbeitet daran, sie überflüssig zu machen. Seine Mission: die Welt verbessern. Sein Werkzeug: der Schraubenschlüssel. Deshalb auch das Logo mit dem hochgereckten Schraubenschlüssel in der Faust.
Mayer hat in Stuttgart den ersten Europa-Store des US-Unternehmens ifixit („ich reparier’s“) eröffnet. Ifixit vertreibt Ersatzteile für Tablets, Smartphones, Spielekonsolen, Laptops und dazu Anleitungen, wie man diese Geräte repariert. Einen Laden gibt es nicht, der Shop existiert nur virtuell. Ifixit ist eine Idee gegen die Wegwerfgesellschaft, gegen die von Konzernen verordnete Verdammnis des unendlichen Konsums. Eigentlich geht es um Mut, die Heiligtümer der smarten Welt von ihrem Thron zu holen, sagt Mayer, ein Smartphone einfach mal aufzuschrauben, sich selbst mehr zuzutrauen als den Beteuerungen der Werbung, dass die nächste Produkt-Generation das absolute Must-have ist. In der Geschäftsidee steckt dieser renitente Eigensinn, der Tüftlergeist, das Sparen – eigentlicht hätte ifixit von einem Schwaben erfunden werden müssen. Da wirkt es wie eine Ehrenrettung, dass der Europastore jetzt in Stuttgart liegt.
Gegenüber der Dinkelackerbrauerei, in einem Hinterhof, kaum zu finden, befindet sich die Europazentrale. Im Keller, knapp 30 Quadratmeter groß, das Lager. Die Ersatzteile sind klein, die Regale hoch. „Das wird uns nicht mehr lang reichen“, sagt Mayer. Das Sortiment werde weiter wachsen, bisher sind erst rund 100 der 1.200 ifixit-Artikel über den Europastore zu bekommen. Außerdem wollen Mayer und sein Geschäftspartner Matthias Huisken Ersatzteile für europaspezifische Geräte aufnehmen wie Kaffee- oder Espressomaschinen.
Das Tüfteln hat Mayer verinnerlicht. „Ich bin hier aufgewachsen mit einer großen Reparaturkultur.“ Sein Vater habe viel an Autos herumgeschraubt, er habe schon als kleiner Junge geholfen. Später hat er sein Interesse auf Computer verlegt. Sein Schlüsselerlebnis: Er hat einen kaputten iPod aufgeschraubt und es tatsächlich geschafft, ihn aus seinem Läuft-nicht-mehr-Schubladen-Schlaf zu erwecken. „Ich bin begeistert, wenn ich begreife, wie etwas funktioniert“, sagt er. „Man muss die Angst vor dem Gerät überwinden.“
Das will der Wirtschaftsingenieur mit ifixit vermitteln. „Wir wollen Leute in die Lage versetzen, etwas zu tun, was sie davor nicht konnten“, sagt er. Den Akku eines iPhone zu wechseln, dauere nur 15 Minuten. Auch für einen Laien, sagt Mayer. Der Homebutton, der oft schlecht reagiert, könne in einer Stunde gewechselt werden. Danach fühle sich das Gerät wieder besser an, obwohl es dasselbe ist. Ifixit veröffentlicht im Internet Reparaturanleitungen, die die Hersteller nicht rausgeben. Erarbeitet und übersetzt werden sie von einer Community freiwilliger Mitarbeiter, Ingenieure, Hobbybastler aus aller Welt. Das Ziel für 2014 sei, weitere der 3.000 ifixit-Tutorials für den europäischen Markt zu übersetzen, sagt Mayer. Der Europastore liefert schneller und günstiger als der US-Versand in 30 Länder diesseits des Atlantiks. Spitzenreiter bei den Bestellungen sei Deutschland. Etwa 85 Prozent der Kunden seien Männer. „Es läuft gut an“, sagt Mayer.
Er hat das Gefühl, den richtigen Zeitpunkt für die Eröffnung des EU-Stores erwischt zu haben. „Es gibt gerade eine Renaissance der Reparaturkultur“, sagt er. Das Unbehagen, kaum recycelbaren Müll zu produzieren, nehme zu. Mayers persönliches Schreckbild ist das Schiff nach Nairobi, beladen mit Elektroschrott der westlichen Gesellschaften. Mit der Ermutigung zur Reparatur will er diesen Müllberg verringern. Und noch wichtiger: Er will mit dieser gesellschaftlichen Bewegung den Druck auf die Hersteller erhöhen.
Ifixit bewertet die Reparierbarkeit von Geräten. Bei Smartphones ist Motorola der Spitzenreiter, HTC deutlicher Verlierer. IPhones sind in der Bewertung mit der Zeit gestiegen, einfacher zu öffnen, mehr Teile auswechselbar. Apple, berühmt für seine totalverschraubten Geräte, wird für das neue iPhone 5c die Reparatur in Shops einführen.
Mayer wünscht sich aber mehr Engagement in diese Richtung. Der Outdoorausrüster Patagonia repariert kaputte Kleidung für seine Kunden und stellt zum Teil selbst Anleitungen zur Reparatur online. Das wünscht er sich auch von Herstellern komplexer Elektrogeräte.
„Wenn wir irgendwann nicht mehr gebraucht werden, weil alle Hersteller Anleitungen und Ersatzteile für die Reparatur rausgeben, dann wäre das super!“, sagt er. Und er ahnt, dass dieser Weg ein langer ist. Jeder Triumph mit dem Schraubenschlüssel in der hochgereckten Hand ist für ihn ein Schritt Richtung Zukunft.
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