: Am Staat gesunden
von ANNA LEHMANN
Alles hängt mit allem zusammen – was die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner Anfang Juni als Zwischenstand der Gesundheitsreform präsentierte gilt in seiner Vagheit weiterhin. Zwar haben sich Union und SPD am Sonntag im Koalitionsausschuss darauf verständigt, der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dauerhaft eine steuerfinanzierte Gehhilfe zu bewilligen. Doch in welcher Höhe und aus welchen Quellen die Steuern fließen, wollen die Koalitionspartner frühestens am kommenden Sonntag entscheiden.
Nur eines ist klar: Klaus Vater, Sprecher von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bekräftigte, man wolle ein Gesamtkonzept verabschieden und keine Vorfestlegungen treffen.Die Generalsekretäre von SPD und CDU, Hubertus Heil und Roland Pofalla, stimmten überein, dass Steuergelder auf keinen Fall zum Stopfen von Finanzlöchern im Gesundheitssystem zu verwenden seien. „Das Fass muss erst mal dicht gemacht werden“, sagte Heil.
Zurzeit versuchen die 16 Fachpolitiker aus Union und SPD, einen gemeinsamen Strang aus den unterschiedlichen Konzepten zu flechten. Drei Vorstellungen sind dabei in der engeren Wahl: Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte vorgeschlagen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge paritätisch einzufrieren und das Gesundheitssystem im Gegenzug auf Steuern umzustellen. Das würde den Staat etwa 30 bis 45 Milliarden Euro kosten. Die SPD und ihr Chef Kurt Beck sind dafür, aber Bundeskanzlerin, Angela Merkel, äußerte am Wochenende nur trocken: „Das kann man vergessen.“
Die von Merkel, ihren Parteikollegen und, wie aus SPD-Kreisen zu erfahren, auch von Ulla Schmidt favorisierte Variante sieht vor, die Beiträge einzufrieren und es den gesetzlichen Kassen zu überlassen, im Ausgleich von ihren Mitgliedern kleine Kopfpauschalen, so genannte Prämien zu kassieren. Auch in diesem Fall würden Steuermittel gebraucht – Schmidt sprach gestern von 16 bis 24 Milliarden Euro.
Thomas Gerlinger, Experte für Gesundheitssysteme an der Uni Frankfurt befürchtet, eine Umstellung auf Steuern würde die Versicherten trotz Beitragssenkungen nicht entlasten: „Wenn Geld aus den bruttolohnbezogenen Steuern in die Krankenversicherung transferiert wird, bedeutet das wahrscheinlich, dass die Versicherten mehr zu zahlen haben, weil sie überproportional am Steueraufkommen beteiligt sind.“
Am günstigsten für die Steuerzahler ist der CSU-Vorschlag, nur die Kinder beitragsfrei zu versichern. Dafür würden etwa 14 bis 16 Milliarden Euro gebraucht. Pofalla meinte, dass es auch in der CDU die Bereitschaft dazu gebe, diesen Vorschlag umzusetzen.
Die Sprecherin der SPD-Linken, Andrea Nahles, ist dagegen: Dann wären auch die Kinder in privaten Krankenkassen (PKV) kostenlos mitversichert – und diese Kassen für Gutverdiener noch attraktiver: „Ein solches Verlustgeschäft kann sich die GKV schlicht nicht leisten“, sagte sie dem Focus.
Auch bei der Behandlung der Privatversicherten sind sich die Koalitionspartner weiterhin uneins. „Mit der Union ist es sehr schwierig, die PKV einzubeziehen“, formulierte SPD-Generalsekretär Heil freundlich. Ein Privileg der PKV wackelt jedoch: Die Privatversicherer, die ihre Kunden nach Gesundheitszustand aussuchen, sollen verpflichtet werden, jeden zu nehmen.
Die großkoalitionäre Expertenrunde hat außerdem den Auftrag erhalten, das Gesundheitssystem noch einmal verstärkt nach Einsparmöglichkeiten zu durchforsten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm war gestern optimistisch, dass sich deutlich mehr als zwei Milliarden Euro bei der medizinischen Versorgung in Deutschland sparen ließen. Es gilt, ein prognostiziertes Minus von sieben Milliarden Euro im nächsten Jahr auszugleichen.
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