: Per Eisenbahn aufs Dach der Welt
Chinas Propaganda feiert die Eisenbahnstrecke nach Tibet, die heute eröffnet wird, als technische Meisterleistung. Tibeter fürchten dagegen, dass sie die bessere Verkehrsanbindung noch stärker zum Ziel chinesischer Migration und Dominanz macht
AUS PEKING JUTTA LIETSCH
Auf nach Tibet! Kauft Tickets für das Dach der Welt! Seit Tagen sind Chinas Medien voll vom großen Ereignis: Die neue Eisenbahn nach Lhasa startet an diesem Samstag zur ersten Fahrt. Um 21.30 Uhr wird der T27/8 aus Pekings Westbahnhof rollen. In 47 Stunden und 28 Minuten wird er das chinesische Riesenreich durchqueren, dramatische Pässe, Schluchten, Täler und Hochebenen passieren und dann in den neuen Bahnhof gegenüber Lhasas Potala-Palast einfahren.
Damit erfüllt sich ein Traum des KP-Übervaters Mao Tse-tung, der die 1950 besetzte Himalaja-Region mit Schienen enger an die Volksrepublik binden wollte. Die technischen Probleme schienen damals unüberwindbar. 50 Jahre später erklärten Maos Erben die Bahn zu einem der wichtigsten Projekte der Erschließung von Chinas rückständigem Westen. 2001 begann der Bau.
Nun sollen täglich drei Züge aus Peking und anderen Städten jeweils über 900 Passagiere nach Tibet bringen, wie der stellvertretende Chef der Qinghai-Tibet-Eisenbahn, Zhu Zhensheng, am Donnerstag in Peking verkündete. Von dort aus kostet das billigste Ticket im „Hartsitzabteil“ 39 Euro, ein Bett im „Weichliege-Abteil“ 130 Euro. Bei chinesischen Touristen ist Tibet beliebt.
30.000 Arbeiter brauchten unter großem Zeit- und Erfolgsdruck aus Peking fünf Jahre für die 1.142 Kilometer zwischen Golmud in der Provinz Qinghai und der tibetischen Hauptstadt. 85 Prozent der Strecke liegt höher als 4.000 Meter. Dort ist die Luft dünn, die Natur hochempfindlich, das Klima extrem wechselhaft. Trotz der körperlichen Belastungen sei beim Bau „niemand an Höhenkrankheit gestorben“, so Funktionär Zhu.
Chinas Medien sind voller Beispiele des Heroismus, der die Arbeiter beim Bau der 3,3 Milliarden Euro teuren Strecke beflügelt habe: Als Vorarbeiter Kang Baoshen etwa nach einem besonders anstrengenden Tag im Krankenbett aufwachte, „zog er unverzüglich die Infusionsnadel heraus und wollte sofort zur Baustelle zurückkehren“, berichtete die Pekinger Jugendzeitung.
Die Einweihung am 1. Juli ist kein Zufall: Heute ist der 85. Gründungstag der KP. Die Bahn gilt ihr als Beweis von Stärke und visionärer Kraft. Am Tanggula-Pass überquert der Zug die Rekordhöhe von 5.072 Metern. 550 Streckenkilometer führen über Permafrost-Böden. Dort ist der Untergrund ganzjährig vereist, während die obersten Schichten im Sommer auftauen. Die Schienen drohen dann zu versinken.
Die Ingenieure konzentrierten sich laut Funktionär Zhu auf „Innovationen chinesischer Prägung“: Entlang der Trasse rammten Arbeiter Eisenpfähle in den Permafrostboden, welche Temperaturschwankungen im Boden ausgleichen sollen. Allerdings ist unklar, wie effektiv dies ist. Wissenschaftler warnen, der globale Klimawandel werde auch in Tibet Gletscher und Permafrostböden schneller schmelzen lassen. Die Regierung beteuert, die Strecke sei auf 50 Jahre sicher, Skeptiker erwarten viel früher Probleme. Ein weiteres Risiko: Die Trasse durchquert ein Erdbebengebiet. Im November 2001 erschütterte ein Beben der Stärke 8,1 das Kunlun-Gebirge. Peking will deshalb ein Warnzentrum errichten.
Die eigens konstruierten 169 Waggons sollen besonders komfortabel und umweltfreundlich sein. Damit die Passagiere die Höhenluft verkraften, strömt zusätzlicher Sauerstoff in die vor UV-Strahlen geschützten Abteile.
So begeistert China die Bahn feiert, so besorgt sind tibetische Kritiker. Die Furcht: Mit der Bahn würden chinesische Händler und Siedler noch stärker als bisher nach Tibet gelockt. Die neuen Geschäfte, Hotels und Restaurants für die erwarteten Touristen würden von Zuwanderern und nicht einheimischen Tibetern betrieben, die noch weiter marginalisiert würden. Inzwischen kündigte Peking an, die Bahn bis zu den Städten Xigaze, Nyingchi und nach Yadong an Grenze zu Indien zu verlängern.
Exiltibeter haben Proteste gegen den Zug angekündigt. In Peking wies Funktionär Zhu die Sorge zurück, die Bahn bedrohe die tibetische Kultur. Sie werde vielmehr der tibetischen Kultur helfen, „in den Austausch mit anderen zu treten“. Für ausländische Journalisten in China gilt dies nicht. Sie dürfen nach wie vor nicht frei nach Tibet reisen – auch nicht per Zug.
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