gojko mitic steigt vom pferd: Winnetou darf sterben
Ganz hart war es für ihn direkt nach der Wende: 1990 trug sich der Häuptling der DEFA-Apachen mit dem Gedanken, als Wirt eines Lokals im Indianerstyle eine neue Existenz zu gründen. Der 1940 im serbischen Strojkovce geborene Gojko Mitić, der seit 1992 und in dieser Saison letztmals durch die Bad Segeberger Sägespan-Steppe galoppiert, war zuvor bereits die realsozialistische Antwort auf Pierre Brice gewesen.
Damals wurde Mitić arbeitslos, und seine Verzweiflungspläne sind nachvollziehbar. Richtig, die übrigen Chargen der staatlichen Karl-May-Verfilmungen sind schnell irgendwo untergekommen. Aber erstens hatte er das Schauspielern nie richtig gelernt: Als Belgrader Sportstudent war er, 20-jährig, für eher körperbetonte jugoslawische Produktionen wie „Römische Mädchen“ rekrutiert worden. Und zweitens: Woher hätte denn ein Bedarf an deutschen demokratischen Rothäuten kommen können? Über Mitić nämlich hatte die DDR-Presse 1974 geurteilt, dass „die Gerechtigkeit, die er verkörpert, die Wahrheitsliebe und Furchtlosigkeit – gepaart mit romantischem Abenteuer“ ihn „zum erstrebenswerten Freund“ mache. Kurz: Dass er Winnetou war.
Winnetou aber bleibt Winnetou. Bis zum Ende des dritten Bandes – Sie wissen schon: Der schwierige Abstieg im Felsen, der schurkige Rollins auf der Lauer, und plötzlich blitzen aus der Spalte einige Schüsse … Man kann, wie die aktuelle Segeberger Festspielproduktion beweist, Mays schmalziges „Ave Maria“ ohne Verlust weglassen. Dass Mitić diesen wohlverdienten Bühnentod erst jetzt, auf eigenen Wunsch und nach 43 Jahren Indianerdasein sterben darf, liegt trotzdem an dieser christologischen Überhöhung, die den Stoff für die Babelsberger Traumfabriken tabu machte. Pech für Mitić – er musste weiterreiten. 1980 spielte er als „Sportlehrer Geisel“ in „Der lange Ritt zur Schule“ sogar – Ironie, Ironie – dessen Wiedergänger. Eine Charakterrolle, die man Pierre Brice wohl nie angetragen hätte. Auch im Osten war schließlich nicht alles schlecht und manches sogar besser. Allerdings ist Mitić‘ Winnetou dafür wohl der einzige Beweis. Und der stirbt. bes
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