piwik no script img

„Bilder des Hasses“

LESUNG Klaus-Michael Bogdal erklärt die europäische „Erfindung der Zigeuner“

Klaus-Michael Bogdal

■ 65, ist Literatur-Professor an der Uni Bielefeld. Für sein Buch „Europa erfindet die Zigeuner“ erhielt er 2013 den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung.

taz: Herr Bogdal, was meinen Sie mit: „Europa erfindet die Zigeuner“?

Klaus-Michael Bogdal: Die Mehrheitsbevölkerung hat seit der ersten Begegnung auf diese Einwanderer-Gruppe Vorstellungen projiziert. Gegen die eigene Erfahrung mit diesen zunächst auch Fremden, produziert sie ständig Bilder der Abwehr und Bedrohung. Das steigert sich zu Bildern des Hasses und der Verachtung. Dieser Wahrnehmungsmechanismus setzt sich bis heute durch.

Welchen Hintergrund hat dieses Ressentiment?

Das Entscheidende ist, dass die Gruppe an einer Epochen-Schwelle zur Moderne einwanderte und in ihrer Lebensweise nicht prädestiniert ist, an den rasanten Entwicklungen teilzunehmen. Die Menschen werden als Nicht-Christen und Heiden wahrgenommen, was sie nicht sind, als Kriminelle und Parasiten. Daraus entwickelte sich der Rassismus, der sich mit Antisemitismus überschneidet.

Und heutzutage?

Im Kern akzeptieren wir sie bis heute nicht als Europäer. Das sieht man in dieser CSU-Kampagne …

… „Wer betrügt, der fliegt“ …

… Die Vorstellung, dass man einen europäischen Bürger irgendwo hinfliegt, ist absurd. Da kommen Phantasien der Wegbringung aus Europa auf. Viele haben die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in Europa nicht akzeptiert.

Was ist mit dem Vorwurf, Roma würden Zwangsprostitution und Zwangsheirat betreiben?

Es gibt nicht ‚die Roma‘. Sie sind ganz unterschiedlich, deswegen ist diese Frage für die Mehrheit dieser Gruppe eine Beleidigung.

Gibt es die Probleme nicht?

In der Tat haben wir es zum Teil mit sehr traditionellen Gruppen zu tun, da tauchen Phänomene wie Zwangsheiraten auf. Bei einer sozial unterprivilegierten Gruppe, am untersten Rand der Ökonomie, haben wir es auch immer mit mehr Kriminalität zu tun. Das ist aber nicht ethnisch-spezifisch.

Sie sagen, das Wort ‚Zigeuner‘ werde ‚stets in diskriminierender Absicht gebraucht‘. Macht es einen Unterschied, wenn Zeitungen von ‚Roma-Banden‘ schreiben?

Nein. Das macht keinen Unterschied. Ich bin niemand, der für politische Korrektheit in der Sprache eintritt. Aber eins ist klar: Im öffentlichen Raum, in der Politik, bei Behörden und der Presse ist das Wort ‚Zigeuner‘ nicht angebracht. Dem hängt in Deutschland mehr als nur eine Diffamierung an. Das hat den Geruch des Völkermordes. Es gibt Menschen, die das genauso empfinden. Es gehört sich, die korrekte Selbstbezeichnung zu wählen.  Interview: JPB

19 Uhr, Zentralbibliothek

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen