: Nennt mich Meerblick
MOGELPACKUNG „Moby Dick“ im Kieler Hafen? Eine gute Idee – mehr aber auch nicht
In der ganzen Stadt hängen gelbe Plakate mit dem weißen Wal drauf, und die schleswig-holsteinische Tourismus-Agentur hat den Kurztrip „Moby Dick und mehr“ im Angebot: Zur Eintrittskarte gibt es zwei Übernachtungen, ein 3-Gänge-Menü und ein Ticket für die Wal-Ausstellung im Zoologischen Museum. An einem Ort „wie geschaffen“ für ein Stück über den Ozean, „inmitten eines Ambientes, wie es nur eine Hafenstadt bieten kann“, gibt das Kieler Schauspielhaus sein Sommerstück: eine Adaption von Herman Melvilles „Moby Dick“.
Bei der Premiere sind alle Holzstühle besetzt. Halle 5 im zweiten Stock des Kieler Seefischhafens hat kahle Wände, gehört eigentlich zu einer Produktionsschule. Überall im dunklen Zuschauerraum flattern helle Fächer, die gibt es draußen, gegen Pfand. Die Luft ist schon vor Beginn der Vorstellung verbraucht. Maritimes Ambiente? Eine frische Brise? Fehlanzeige.
Franziska Steiofs Bühnenfassung beginnt mit einem Song des Protagonisten Ismael (Eirik Behrendt), getextet von der Regisseurin selbst. Weil die Akustik des Raums schwierig ist, singen die Schauspieler in Mikrophone. Auch die Musik wird über Lautsprecher eingespielt. Eine Nebelmaschine springt an, die Luft wird noch etwas knapper.
Als die Mannschaft um Ismael, Queequec (Marko Gebbert) und den rachsüchtigen Kapitän Ahab (Volker Hanisch) ihre Fahrt antritt, gibt das weiße Tuch, das als Vorhang diente, den Blick frei auf ein Vorderdeck aus Holzbrettern und Tauen. Hier lernt Ismael den Walfang kennen und das wahre Ziel der Reise: das Erlegen Moby Dicks, als Vergeltung für Ahabs Verstümmelung.
Ab und an springt die Mannschaft auf, singt und tanzt wie in einem Musical. Beschwingt wird mit allzu tiefschürfenden Momenten gebrochen. Etwa, wenn die blond gelockte „Walfrau“ (Isabel Baumert) mal wieder das Schiff umkreist hat.
Schon vor der Pause bringen zwei Männer einen älteren Besucher vor die Tür. Die Hitze. Ein Vater wedelt ernst und unablässig mit dem Fächer ins Gesicht seines Sohnes. Der schwitzt – und schleicht sich irgendwann allein von dannen.
In der Pause stehen die Besucher auf dem Parkplatz vor dem Gebäude, atmen und fächern. Viele haben sich Wasser in großen Glasflaschen gekauft. Einige sitzen auf dem Steinboden, blicken aufs Meer.
„Du riechst Wal und ich seh’ Mann“, singt die Walfrau nach der Pause. Die Bühne erweist sich als senkrecht aufstellbar, das Schiff kentert. Nach zweieinhalb Stunden verlässt das Publikum die aufgeheizte Halle, reiht sich im Vorraum ein: Pfand abholen. KLU
Tägl. bis Sonntag, 20 Uhr, Seefischmarkt, Gebäude 5, Kiel-Wellingdorf
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