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Mit dem Ziel eines Publikumsfestivals

FILMERBE Der Stummfilm ist wieder da – als Spektakel und Bindeglied zwischen Pop, Tradition und Avantgarde. Zeit also für „Das StummfilmLiveFestival“ im Babylon-Kino unter der Schirmherrschaft von Volker Schlöndorf

Man sollte also annehmen, dass Berlin bereit sei für sein eigenes Stummfilm-Festival

VON ANDREAS BUSCHE

Dass der Stummfilm heute nur noch eine museale Kunstform sei, hat sich in den letzten Jahren als großer Trugschluss entpuppt. Tausende von Menschen wohnten im Februar am Brandenburger Tor der Weltpremiere der restaurierten Fassung von Fritz Langs „Metropolis“ bei. Noch ein paar mehr, knapp 40.000, waren anwesend, als die Pet Shop Boys vor einigen Jahren Eisensteins Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ live vertonten.

Der Stummfilm taugt also zum Spektakel, als Bindeglied zwischen Filmtradition, Pop und Avantgarde. Es ist nicht allzu lange her, da wurde er als rückständige Frühform des Kinos betrachtet: lächerlich überdramatisiert, unfreiwillig komisch und zu allem Überfluss in Schwarz-Weiß. Inzwischen darf auch außerhalb von Spezialistenkreisen als bekannt vorausgesetzt werden, dass in der Frühzeit des Kinos die Mehrzahl der Filme farbig waren. Pionierarbeit haben hier Filmfestivals wie das Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone und das Cinema Ritrovato in Bologna geleistet, die mit viel Akribie und Leidenschaft einige Gründermythen des Kinos widerlegten. Auch in Deutschland hat sich seit den Neunzigerjahren eine aktive Stummfilmkultur entwickelt. Federführend waren hier die Bonner Stummfilmtage und das Bielefelder Film + Musikfest, und nicht zu vergessen die Retrospektive der Berlinale, die dank ihrer umfassenden und klug zusammengestellten Werkschauen zu Georg Wilhelm Pabst, Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau dem Stummfilm zu neuem Ansehen verholfen hat. Man sollte annehmen, dass Berlin bereit sei für sein eigenes Stummfilm-Festival. Das dachten sich auch die Macher des Babylon-Kinos in Mitte, wo ab morgen mit der Patenschaft von Volker Schlöndorff das zehntägige Berliner Stummfilm-Festival stattfindet.

Auch wenn das 1929 erbaute Babylon die Ära des Stummfilms knapp verpasste, ist es als letztes erhaltenes Berliner Uraufführungskino der ideale Ort für solch ein Ereignis. Als Kooperationspartner hat man das Cinema Ritrovato gewinnen können; das Programm betreut der ehemalige Vorsitzende der Murnau-Stiftung, Friedemann Beyer. Mehr als vierzig Filme werden in der kommenden Woche im Babylon zu sehen sein. Neben den üblichen Verdächtigen des Weimarer Kinos („Metropolis“, „Der Golem“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ etc.) sind darunter auch Todd Brownings „The Unknown“ (mit einem armlosen Lon Chaney), Medwedkins „Das Glück“, Lotte Reinigers Scherenschnitt-Klassiker „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, D. W. Griffiths Epos „Intolerance“, das japanische Pionierwerk „A Page of Madness“ sowie eine (leider viel zu kleine) Auswahl an John-Ford-Filmen. Letztere hat man aus dem Programm des diesjährigen Cinema Ritrovato übernommen.

Den Anspruch eines Publikumsfestivals erfüllt das Programm mit seiner hohen Klassikerdichte somit problemlos, die finanziellen Beschränkungen sind dennoch nicht zu übersehen. Denn nicht immer ist es den Organisatoren gelungen, die restaurierten Fassungen zu buchen. So läuft das im letzten Jahr erstmals in seinem alten Glanz wiederaufgeführte Weltkriegsdrama „J’Accuse“ nur in einer fast um eine Stunde kürzeren Fassung (und ohne viragierte Szenen). Auch von Erich von Stroheims Opus Magnum „Greed“ ist nur dieselbe brutal verstümmelte Zweistundenversion zu sehen, die seit Jahrzehnten in Kinematheken und Filmmuseen kursiert.

Zugute halten muss man dem Festival, dass es unter anderem gelungen ist, die restaurierten Fassungen der italienischen Meisterwerke „Cabiria“ und „Maciste all’inferno“ nach Berlin zu holen. Die Auswahl der beiden Ford-Filme („Straight Shooting“ und „Three Bad Men“) zeigt jedoch auch, dass es gerade im Stummfilmbereich heute nicht mehr reicht, den filmischen Kanon rauf und runter zu programmieren.

Das Frühwerk Fords galt lange als eher minderwertig, darüber hinaus verbinden viele Filmfans mit seinem Namen immer noch ausschließlich Western. Zwei Vorurteile, die auf dem letzten Cinema Ritrovato, wo der komplette frühe Ford (stumm und Ton) zu sehen war, eindrucksvoll widerlegt wurden. Dass sich das Babylon auf zwei (zudem bekanntere) Western beschränkt, ist daher mehr als bedauerlich, da Filme wie das von Murnau inspirierte Drama „Four Sons“ oder die Komödie „Riley the Cop“ dem Publikum die Möglichkeit gegeben hätten, einen ganz anderen Ford zu entdecken.

Der Kanon des Stummfilms ist seit einigen Jahren ständigen Neubewertungen unterzogen, weil durch die immer bessere Kooperation von Festivals und Archiven lange verschollene Frühwerke erstmals wieder zugänglich gemacht und damit auch umfassende Werkschauen ermöglicht werden. Sollte es den Veranstaltern des Stummfilmfestivals gelingen, die Kooperation mit dem Cinema Ritrovato auszubauen, wäre der Berliner Kinolandschaft ein unschätzbarer Dienst erwiesen, zumal Friedemann Beyer bereits die Hoffnung äußert, das Spektrum zukünftig auch um den frühen Tonfilm zu erweitern.

Auch musikalisch will das Programm den Stummfilm nicht allein den Filmmuseen überlassen. Neben einigen der international gefragtesten Stummfilmpianisten- und komponisten wie Joachim Bärenz, Neil Brand, Günter Buchwald, Stephen Horne werden auch DJs und die Techno-Formation Tronthaim die Filme begleiten. Aufwändigstes Projekt ist die Aufführung von Ruttmans „Symphonie einer Großstadt“, der am 17. Juli gleichzeitig auf 3.000 Monitoren im Berliner U-Bahn-Netz gezeigt wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich die iPhone-Generation mit solchen Events für den Stummfilm begeistern lässt.

■ Bis 25. 7., Infos: www.babylonberlin.de

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