: Literarisch aus der Zeit gefallen
ENDLOSSCHLEIFE Galante Nachkriegsliteratur? Das ewige Neuentdecken des Einzelgängers Wolf von Niebelschütz
VON TOBIAS SCHWARTZ
Diese beiden Romane erschienen 1949 und 1959 – und wurden dann allmählich vergessen. Ende der Neunziger wurden „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“ dann noch einmal neu aufgelegt, kurz vor dem 40. Todestag ihres Autors – und dann wurden sie erneut vergessen. Nun, zum 50. Todestag am 22. Juli, erscheinen sie nun noch einmal. Was ist das für ein merkwürdiger Autor, der offenbar zwischen Wiederentdeckung und Wiedervergessen in einer Endlosschleife festsitzt?
Geboren wird Wolf von Niebelschütz 1913 in Magdeburg, wo er als Sohn eines Redakteurs aufwächst und nach einem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Wien und München bei der Magdeburgischen Zeitung in die Fußstapfen seines Vaters tritt. Nachdem er als Soldat den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, ernährt er seine siebenköpfige Familie überwiegend als Vortragsredner und Verfasser von Festschriften. Wie sehr Wolf von Niebelschütz aus seiner Zeit herausfällt, sieht man, wenn man gleich alte Autoren heranzieht. 1913 wird auch Stefan Heym geboren, zwei Jahre danach Max Frisch, ein Jahr davor Arno Schmidt und Alfred Andersch. So unterschiedlich sie auch sein mögen, so deutlich sind sie in ihren Büchern als Generationsgenossen erkennbar. Sie teilen die Themen ihrer Zeit, die Haltung eines literarischen Aufbruchs. Ganz anders Wolf von Niebelschütz. Er steht jenseits seiner Epoche.
Es ist eine Zeit des literarischen Kahlschlags und der Abrechnungen mit der Nazi-Diktatur. Die „Blechtrommel“, Arno Schmidts „Leviathan“, Wolfgang Koeppens „Treibhaus“ und Heinrich Bölls „Billard um halb zehn“ erscheinen nahezu zeitgleich mit Niebelschütz’ zweitem, großen Roman. Gründerzeit in der bundesrepublikanischen Nachkriegsliteratur, Niebelschütz dagegen nennt sein noch während des Krieges begonnenes, weit über tausend Seiten starkes Buch „Der blaue Kammerherr“ einen „galanten Roman“ – angelehnt an die literarische Modeschreibe des Spätbarocks und Rokokos. Die Handlung verlegt er entsprechend ins Jahr 1732, in dem die schöne Danae, Kronprinzessin des fiktiven, von Nachbarstaaten bedrohten Inselreichs Myrrha, Avancen des revitalisierten Göttervaters Zeus zurückweisen muss und ihre Heimat in machiavellistischer Manier vor dem Untergang zu bewahren hat.
Der Roman „Die Kinder der Finsternis“ ist noch früher, im Mittelalter, angesiedelt. Viel Minne und Aventiure, der Roman erzählt die Geschichte vom Aufstieg des Schäferjungen Barral zum Herzog und Freund des Kaisers in der Provence des 12. Jahrhunderts. Was zum Eskapismus hinzukommt: Beide Großromane sind politisch zu lesen und künden deutlich von Niebelschütz’ monarchistischen Neigungen – Adel ist bei ihm edel, Volk ist Pöbel – und von seiner Abneigung gegenüber Revolutionen, die er mit Chaos und Anarchie gleichsetzt.
Auch sprachlich tendiert Wolf von Niebelschütz in Richtung Vergangenheit. Seine Prosa liest sich streckenweise antiquiert und manieriert, wenn nicht schwülstig. „Er trug an diesem Abend die gepuderte Cavaliers-Perücke mit schwarzem Zopf, er trug einen taubengrauen Rock über erdbeerfarbener Ordensschärpe, und der Orden selbst, ein goldener Strahlenstern mit weißem Emblem auf blauem Emailgrund, ragte ihm seitlich am gelbseidenen Beinkleid auf einer Rosette, die aus den Falten der Schärpe gebildet wurde, unter dem von Onyx und Rubinen besetzten Stichblatt des Zierdegens hervor“, so lautet die Beschreibung eines Auftritts des Königs in „Der blaue Kammerherr“. In Sachen Stil hat sich Niebelschütz offenbar von Thomas Mann einiges abgeguckt. Ein Sprachzertrümmerer oder Spracherneuerer zu sein lag ihm jedenfalls fern.
Bei aller Rückwärtsgewandtheit entbehren dabei diese Romane nicht einer gewissen sprachlichen Virtuosität und Eleganz, deren Glätte nicht zu unterschätzen ist. Fühlt man sich zu sicher, rutscht man aus und schlittert, teils über reaktionäre staatstheoretische Abwägungen hinweg, ins Ungewisse. In Niebelschütz’ Prosa lassen sich auch Ansätze von Ironie finden. Allerdings sind die häufig so fein, dass sie über lange Strecken unsichtbar bleiben.
„Es ist ein sehr umfangreicher, sehr anspruchsvoller, sehr kühn und männlich fabulierter Roman“, urteilt Hermann Hesse 1962 über „Die Kinder der Finsternis“. Aber Niebelschütz erreicht Hesses eher irritierendes Kompliment nicht mehr. Er stirbt bereits 1960 an einem Gehirntumor. Warum dieser Autor in der Folgezeit dann vergessen wurde, ist eigentlich klar: Er repräsentierte eine Literatur, gegen die sich die Nachkriegsautoren, vor allem die der Gruppe 47, absetzen wollten. Aber warum werden immer neue Anläufe unternommen, ihn wiederzuentdecken? Man muss feststellen: So richtig klar wird einem das nicht, wenn man diese Bücher heute liest. Man könnte höchstens ein historisches Interesse annehmen – aha, solche Bücher hat es in den Fünfzigern also auch gegeben! Und vielleicht hat das Wort „Wiederentdeckung“ allein schon einen so großen Reiz, dass man es immer mal wieder beim einen oder anderen Autor versucht. Hübsch immerhin, sich auszumalen, welche Artikel über Wolf von Niebelschütz zum 60. Todestag geschrieben werden.
■ Wolf von Niebelschütz: „Der blaue Kammerherr“. 1.252 Seiten, 29,90 Euro; „Die Kinder der Finsternis“. 704 Seiten, 24,90 Euro. Beide Kein & Aber, Zürich 2010
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen