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Vietnam in New York

Martin Scorseses „Taxi Driver“ wird wiederaufgeführt. In den 30 Jahren seit seiner Entstehung ist der Film kaum gealtert – und im Kino ist er besser aufgehoben als im DVD-Player

von ANDREAS BUSCHE

Martin Scorseses „Taxi Driver“ gehört zu den wenigen Filme seiner Zeit, die die Jahre unbeschadet überstanden haben. Der Irrsinn von „Apokalypse Now“, die Travestie des Vietnamkrieges, ist längst überflügelt worden von den Mythen, die die Produktionsgeschichte und den Wahn Coppolas umranken. Und auch die Paranoia von „Parallax View“ wirkt heute im Anbetracht der realen politischen Verhältnisse eher wie ein Scherz. „Taxi Driver“ ist schon damals beides gewesen: der bessere Film über Vietnam und die profundere Schilderung des amerikanischen Unbehagens nach Watergate. Der englische Filmkritiker David Thomson schrieb vor einigen Jahren, der Geist Richard Nixons schwebe über Scorseses Film, ohne dass Nixon selbst je in Erscheinung trete. Die an Nixon angelehnte Figur in „Taxi Driver“ war jedoch nicht Senator Charles Palantine, auf den Travis Bickle eine seltsame Fixierung entwickelt, sondern Bickle selbst. Nixon und Bickle, so Thomson, kamen mit Taten davon, die man ihnen nicht hätte durchgehen lassen dürfen.

In dieser Einschätzung steckt die ganze Ambivalenz von „Taxi Driver“. Die reaktionären Züge der Figur des Travis Bickle waren mit dem rebellischen Impetus von New Hollywood unvereinbar. Vietnam-Heimkehrer Bickle hatte den Krieg mit nach Hause gebracht. Er war der Krieg, und der Krieg war in ihm: der Rassismus, die Gewalt, das Gefühl von moralischer Überlegenheit, das schließlich in einem blutigen Rachefeldzug gipfelte, den Kritiker schon damals als Kommentar auf das Massaker von My Lai deuteten. Scorsese aber machte den einsamen Amokläufer, der davon fantasierte, dass ein biblischer Regen den menschlichen Abschaum in die Gosse spülte, zum Volkshelden. Wie konnte dieser Travis Bickle zu einer Symbolfigur von New Hollywood werden?

Welchen Nerv Robert De Niros Darstellung von Travis Bickle beim Publikum traf, zeigte schon die euphorische Reaktion der New Yorker Kritikerin Pauline Kael. Zwar entgingen auch ihr die faschistischen Untertöne von „Taxi Driver“ nicht (die sie allerdings eher Paul Schraders Drehbuch zuschrieb), aber da war auch etwas Unwiderstehliches im Auftreten De Niros, diese naive Selbstsicherheit, die im Film auch die von Cybill Shepherd gespielte Wahlkampfhelferin Betsy anzieht. „So einen wie dich hab ich noch nie kennen gelernt“, sagt sie einmal zu Bickle. Wie wahr das ist, erkennt sie, als Bickle sie beim ersten Date in ein Pornokino schleppt.

Schrader erzählte später in Interviews, dass der unverhohlene Rassismus in „Taxi Driver“ im Original-Drehbuch noch viel ausgeprägter war und allein von Bickle ausging. Mitte der Siebzigerjahre befand sich Schrader – wie seine Schöpfung Travis Bickle – in einem äußerst labilen mentalen Zustand. Sein streng calvinistisches Elternhaus hatte der junge Schrader als Hölle auf Erden empfunden, und noch während der Arbeit am „Taxi Driver“-Drehbuch laborierte er an den Spätfolgen seiner repressiven Erziehung. Unmengen von Alkohol und Drogen konnten Schraders psychotische Ausbrüche kaum bändigen. In der ersten Fassung des Drehbuchs sind die Opfer Bickles ausnahmslos Schwarze. Scorsese schritt ein und verteilte Travis’ asoziale Kommentare auf Nebenfiguren (eine dieser Figuren spielt Scorsese selbst; seine misogynen Sprüche lassen Travis wie einen Waisenknaben aussehen).

So lassen sich vielleicht auch die Widersprüche in der Figur von Travis Bickle erklären. Erst die Korrekturen von Scorsese machten aus dem schlüssigen Porträt eines Soziopathen, wie Schrader es gezeichnet hatte, eine gebrochene Figur, deren Weltekel eine heroische Größe annahm. Bernard Herrmanns Jazz-Motiv verlieh Travis’ Nachtfahrten zudem eine fast klassische Melancholie.

Die Entstehung von „Taxi Driver“ war ein seltener Glücksfall. Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. Die jungen Wilden hatten ihr Pulver fast schon wieder verschossen, die besten Filme aus der Zeit von New Hollywood – „Die letzte Vorstellung“, „Chinatown“, „French Connection“, „Der Dialog“, „Hundstage“ – waren längst gedreht, als Scorsese, Schrader und De Niro zusammenkamen. Keiner von ihnen ist danach je wieder so gut gewesen. Ihre disparaten Kräfte – Scorseses Rastlosigkeit, De Niros Intensität und Schraders wahnhafte Raserei – verwandelten „Taxi Driver“ in ein Pulverfass. Besonders der Clash von Scorseses stark katholisch geprägter Bildsymbolik (Travis, der sich mit einer Gasflamme, dem Fegefeuer, für das letzte Gefecht stählt; Betsy, die in ihrem weißen Kleid wie ein Engel durch die schmutzigen Straßen schreitet; Handfeuerwaffen, die wie Reliquien vorgeführt werden) und Schraders von protestantischen Tics durchzogenes Drehbuch, seinen endlosen Tiraden gegen den menschlichen Abfall, die Huren, die schwarzen Zuhälter, den Sündenpfuhl New York an sich, schaffte interessante ästhetische Interferenzen.

Die inneren Widersprüche, die moralische Fragwürdigkeit und die visuelle Eloquenz in der Beschreibung eines großstädtischen Molochs verleihen „Taxi Driver“ eine Dichte, die seither kaum wieder erreicht wurde. Deswegen gehört dieser Film einfach auf die große Leinwand. In der fein nuancierten Düsternis von Scorseses Neo-Noir-New-York verbirgt sich etwas Albtraumhaftes, dem das Heimkino unmöglich genügen kann.

„Taxi Driver“, Regie: Martin Scorsese. Mit Robert De Niro, Jodie Foster u. a., USA 1976, 113 Min.

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