: Der fliegende Bogenschütze
Steppenreiter Claus Meyer liebt das Bogenschießen im Sattel. Auf dem Rücken seiner Pferde fühlt er sich ins Mittelalter versetzt. Voraussetzung für den sensiblen Sport: Ausgeglichenheit und Geduld
AUS ANSTEL LUTZ DEBUS
Eine Weide an der Wasserburg in Anstel, nordwestlich von Köln gelegen. Claus Meyer treibt sein Pferd an. Über 90 Meter jagt er über das Gras. Dabei schießt er in schneller Folge Pfeile auf drei Zielscheiben. Zunächst trifft er die Scheibe schräg vor ihm. Dann schießt er auf die Scheibe neben sich. Zum Schluss dreht er seinen Oberkörper, schießt hinter sich und trifft. Nach gut zehn Sekunden hat er die Strecke bewältigt. Gemächlich trabt das Pferd wieder zum Ausgangspunkt.
„Wenn man anreitet, verlässt man diese Welt.“ Mit diesem knappen Satz beschreibt Claus Meyer den Reiz seines Sportes. Vor fünf Jahren begann er mit dem berittenen Bogenschießen. Es habe ihn sofort begeistert. Zuvor hatte sich der Tierarzt aus Hombroich bei Neuss schon an Fallschirmspringen und Paragliding versucht. Auch diese Sportarten gaben dem 44-Jährigen einen Kick. Aber der meditative Charakter, der in der Kombination von Bogenschießen und Reiten steckt, sei unvergleichlich. Von einem ungarischen Lehrer habe er den Spruch gehört: „Lass das Pferd für dich sorgen und den Bogen für dich schießen.“ Tatsächlich könne er, wenn er unter Stress steht, wenn er sich willentlich vornimmt, zu treffen, überhaupt nichts erreichen. Gelassenheit ist entscheidend – trotz der hohen körperlichen Anspannung.
Für den Aufbau ihres Gerätes brauchen moderne Bogenschützen, die mit ihrer Zielvorrichtung, Stabilisatoren und anderem Zubehör wie überdimensionale Insekten aussehen, bis zu einer Stunde brauchen. Beim berittenen Bogenschießen sind die Vorbereitungen unkomplizierter. Es werden nur traditionelle Bogen benutzt. Claus Meyer hat mehr als zehn davon. Ein Bogen nordamerikanischer Indianer ist verhältnismäßig einfach gebaut. Der Hunnenbogen ist asymmetrisch, deshalb besonders für den Gebrauch auf dem Pferd geeignet. Für den Reiter ist oben mehr Raum als unten.
Heute hat Meyer eine dem türkischen Kompositionsbogen nachempfundene Waffe mitgebracht. Der originale türkische Bogen ist an der Innenseite mit Büffelhorn versehen. Die mittlere Schicht ist aus Holz und die äußere aus Sehnen. Sein Nachbau hat er direkt beim Hersteller in Ungarn gekauft. Die Materialien, die dieser verwendet hat, bleiben Betriebsgeheimnis. Die Pfeile fertigt Meyer selbst an. Mit den im Fachgeschäft gekauften war er nie zufrieden. Ob er denn schon manche seiner aufwendig hergestellten Pfeile in dem hinter den Zielscheiben rauschenden Bächlein verloren hat? „Nein, ich treffe zumindest immer die Scheibe.“
Allein das ist für Zuschauende schon ein Wunder. Statt wie beim europäischen Schießsport mit dem Auge das Ziel anzuvisieren, halten die reitenden Schützen den Pfeil in Brusthöhe. Deshalb wird das berittene Bogenschießen zunächst ohne Pferd, auf festem Boden stehend, geübt. Erst wenn ein Schütze nach vorn, zur Seite und nach hinten wie im Schlaf sein Ziel trifft, geht es auf‘s Pferd.
Auch hier gibt es erst einmal viel zu lernen. Wie bei einem guten Dressurreiter sollte der Oberkörper völlig ruhig sein. Alle Bewegungen des Pferdes müssen unterhalb der Gürtellinie aufgefangen werden. Pfeil und Bogen brauchen völlige Ruhe. Dafür ist es notwendig, genau zu dem Zeitpunkt zu schießen, wenn das Pferd beim Galopp mit keinem Huf den Boden berührt. Dieses „Fliegen“ muss der Reiter erspüren können. Gleichzeitig muss der eigene Atem der Schrittfolge des Pferdes angepasst werden. Gespannt wird der Bogen beim Einatmen, geschossen wird beim Ausatmen. „Das sind alles Leistungen des Kleinhirns. Mit rationalen Gedanken kommt man da nicht weiter“, erklärt der Veterinärmediziner. Deshalb, so seine Vermutung, können manche Kinder ohne viel Training recht gut auf dem Pferd schießen. „Die verlassen sich auf ihr Gefühl.“ Wenn er seinen Sport anderen vermitteln will, dann erklärt er weniger die funktionalen Abläufe, sondern er benutzt Bilder: „Stelle dir vor, an dem obersten Punkt deines Kopfes ist eine Öse und daran ist ein Faden befestigt, der dich hält.“ Eine aufrechte Haltung ist unerlässlich. Auch für die Aufgabe, ohne zielen zu können treffen zu müssen, hat er ein Bild parat: „Der Pfeil fliegt auf deinem Atem ins Ziel.“
Aber nicht nur die Reiter, auch die Pferde müssen ausgebildet werden. Zunächst wird dem Tier ein Pfeil gezeigt. Zuckt es nicht zurück, bekommt es eine Belohnung. Nach einigen Stunden kann Meyer mit einem Pfeil vor den Augen seines Pferdes wedeln und nichts geschieht. Dann wird geübt, die Abschussgeräusche auszuhalten. Manchmal dauert die Ausbildung eines Pferdes zwei Stunden. Manchmal gibt Meyer nach zwei Jahren auf. Wenn sie nicht so langsam wären, würden sich phlegmatische Pferde am besten eignen.
Für Claus Meyer ist inzwischen das berittene Bogenschießen mehr als nur ein Freizeitsport. Anhand der Geschichte des Bogenschießens erklärt er sich die Welt. „Der Bogen war das Maschinengewehr des Mittelalters.“ Durch diese neue Waffentechnologie endete die Ritterzeit. Die englischen Langbogen konnten mühelos die Rüstungen durchbohren. Meyer ist überzeugt, dass so der Ursprung des Britischen Empires gelegt wurde. Ähnlich sieht er die Entstehung des Osmanischen Reiches. Sympathischer als die militärische Bedeutung findet er aber die spirituelle, die das Bogenschießen in fernöstlichen Kulturen hat.
Dann ist der Bogenschütze wieder in der Gegenwart angelangt. Ein Aspekt ist ihm an dem Sport besonders wichtig. „Männer sind schwer in den Sattel zu bekommen.“ Auf Reiterhöfen tummeln sich überwiegend Frauen. Die Männer bleiben oft zu Hause. Durch die Kombination mit dem Schießsport könne doch, so sein Kalkül, manche Partnerschaft völlig neue Impulse bekommen. Bei den berittenen Bogenschützen gebe es sowohl Frauen wie Männer. Frauen kämen meist vom Reitsport, könnten zunächst nicht so gut schießen. Bei den Männern wäre es genau andersherum. Seine Freundin, eine erfolgreiche Dressurreiterin, habe ihm erst diesen Sport ermöglicht. Zum Bogenschießen leiht er sich bei ihr die Pferde.
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