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Besser ist’s unten am Fluss

OPEN AIR Der rührige Konzertveranstalter Ran Huber bat seine Lieblingskünstler zum Festival „Down by the River“ in die Bar 25. Zur Freude der Berliner LoFi-Familie

Ran Huber ist ein Phänomen. Der Mann flitzt zwischen den verschiedenen Konzertbühnen hin und her, macht Ansagen, steht dann wieder im Publikum und lässt sich von der dargebotenen Musik begeistern

VON KIRSTEN REINHARDT

Am Anfang sind es die Durchis. Während das „Down by the River“-Publikum eintrudelt, das am Nachmittag vor allem aus Kindern, den dazugehörigen bärtigen Vätern, schönen Müttern, Hunden und Seifenblasen zu bestehen scheint, trotzt den Kleinfamilienhorden eine kleine After-Hour-Gruppe an der Bar. Man tanzt mit stierem Blick zu „Cocomo“, trägt Stonewashedjeans und ausgewaschene Tattoos und nimmt Hartes ein.

Der Durchi, so schrieb einst der Autor Tobias Rapp, sei in der Bar 25 erfunden worden: „Man kann sich ihn als Druffi vorstellen, der nicht nach Hause gegangen ist, als seine Drogen alle und die unmittelbare Wirkung vorbei war.“ Erstaunlich ist allerdings weniger das Durchhaltevermögen der Druffis als vielmehr die homogene Individualität des Festivalpublikums. Die große LoFi-Familie ist gekommen, um ihre Bands zu hören.

Mop statt HJ-Haarschnitt

Beim zweiten „Down by the River“-Festival spielten von 14 bis 24 Uhr 37 Bands und Solokünstler auf drei Bühnen. Die Kleine am Eingang zum Circus beherbergte am Nachmittag eine Reihe von Singer-Songwritern, die Erinnerungen an Dylans Auftritt beim Newport Folk-Festival 1965 weckten. Überhaupt, Bob Dylan: Während die Männer ab dreißig Bart und Zottelmähne verhaftet sind, scheint die New-Wave-Hitlerjugend-Frisur der Hipster-Twens inzwischen abgelöst zu werden durch jenen Mop, den Dylan auf dem „Freewheelin’ “-Album trägt: die Seiten kurzrasiert, oben tollig.

Stilistisch ist das Publikum ohnehin eine Augenweide. Wer ein Modeblog betreibt, hätte sich am Samstag mit Fotomaterial für die nächsten Jahre eindecken können. Aber zurück zur Musik. Veranstaltet wurde das Tagesfestival von FourTrack und Ran Huber. Erstere haben mit ihrer Konzertreihe den Antifolk in Berlin verankert, und Huber ist sowieso ein Phänomen.

Vor einem halben Jahr feierte er mit seiner Veranstaltungsreihe am START Zehnjähriges. Er bucht unermüdlich neue Künstler, bevor sie dann richtig groß werden (so zuletzt Soap & Skin und Sophie Hunger) und hat sich dabei eine Offenheit bewahrt, die man nur bewundern kann.

Huber flitzt zwischen den Bühnen hin und her, macht Ansagen, steht dann wieder im Publikum und lässt sich von der Musik begeistern: Chuck a Muck zum Beispiel, blutjunge Berliner, die deutschsprachigen Garagenpunk rocken. Oder das britische Folkduo Martha Rose, das Huber bei einer Jurytätigkeit in einem Lesbencafé entdeckt hat – Vergesst Newport, es leben Down by the River!

Indes wird Bühne Nummer drei von den Druffis gekapert. Das Antje-Oeklesund-Wohnzimmer ist eine Installation: In dem weißen Holzkasten wird gespielt, Bild und Ton über Lautsprecher und Fernseher nach draußen übertragen. Ein Druffi zeigt dem Festivalpublikum seinen nackten Hintern und deutet an, was man alles hineinstecken könne. Später stürmen zwei Kinder das Wohnzimmer und intonieren „Alle meine Entchen“.

Ein Kollektiv sind auch die Indie-Folker Coming Soon, die in Frankreich bereits Popstarstatus erreicht haben und heute vor ihrem eigentlichen Auftritt als Band für Clemence Freschard dienen. Freschards französischer Akzent fügt sich wieder wie ein ganz eigenes Instrument in ihre Musik ein. Ihr Partner, der Antifolk-Pate Stanley Brinks (Ex-Herman-Dune) ist auch dabei, und natürlich wird auch er später spielen, zum Abschlusskonzert.

Überraschung des Abends

Doch die Überraschung des Abends ist Masha Qrella. Weil sich ihr Schlagzeuger mit den Türstehern angelegt hat und „hier nie wieder spielen will!“, hat sie eine neue Band gegründet. Premiere: heute. Bandaranai heißt die Formation, und damit ist nicht Sirimavo Bandaranaike, die erste Premierministerin der Welt, gemeint, sondern der nach ihr benannte Flughafen auf Sri Lanka, auf dem sich das Duo kennengelernt hat. Julia Kliemann (Ex-Komeit) und Qrella spielen sechs neue Songs und covern zum Schluss den Robert-Palmer-Radio-Hitsong „Johnny and Mary“, unkenntlich und wunderschön. Und falls Bandaranai, was sie hoffentlich bald tun, ein Album aufnehmen, werden feministische Musikjournalistinnen jubeln, dass es endlich wieder ein Role Model für coole Frauen auf der Bühne gibt.

Später ist es dann die Realität. In der S-Bahn grölen alkoholgesättigte Testosteronbehälter durch die Waggons, eine Gruppe miniberockter Frauen mit Glitzerhüten schleppt eine wankende Braut-in-spe von ihrem Junggesellinnenabschied von dannen, und das Letzte, was die Nacht zu bieten hat, ist ein blinkendes Bunnyohr auf dem Kopf einer blondierten Walküre mit Arschgeweih, das im Gewühl vom S-Bahnhof Friedrichstraße verschwindet.

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