piwik no script img

Hoffen auf die Konjunktur

KONSOLIDIERUNGSPFAD Bund und „Konsolidierungsländer“ ringen derzeit hinter den Kulissen um das Kleingedruckte bei der Sanierungshilfe. Bremen will von 2013 bis 2015 die großen Sparschritte unternehmen

Demnächst wird Bremen einen Nachtragshaushalt von 150 Millionen Euro verabschieden. Unterm Strich wird das Land 2011 damit rund eine Milliarde Euro neue Schulden machen.

Von jedem Sozialhilfeempfänger erwartet man, dass er keine Schulden macht, sondern für außergewöhnliche Anschaffungen jeden Monat etwas zurücklegt – auch wenn er grundsätzlich der Ansicht ist, dass Hartz IV eigentlich viel zu gering bemessen ist. Von einem Bundesland hingegen erwartet niemand, dass es spart, wenn es einmal zu viel ausgegeben hat. Jahrelang war Bremens Finanzpolitik bestimmt von der Ansicht, dass die Bundesregierung schuld sei, wenn Bremen Schulden macht – die Steuerverteilung sei eben ungerecht.

Doch die Geduld der föderalen Gemeinschaft war nicht grenzenlos, als Bremen nach zwei Perioden der Sanierungshilfe den Haushalt nicht saniert hatte. Und weil es auch andere Bundesländer mit Schuldenproblemen gibt, einigte man sich auf eine „Schuldenbremse“ – ab dem Jahr 2020 sollen alle Bundesländer ohne Neuverschuldung auskommen.

Demnächst wird Bremen einen Nachtragshaushalt von rund 150 Millionen verabschieden müssen. Unterm Strich wird das Land dann für 2011 eine Neuverschuldung von rund einer Milliarde Euro ausweisen – bei Einnahmen von drei Milliarden. Wie soll da die Schuldenbremse greifen?

Rein rechnerisch ist das einfach: Wenn die Ausgaben zehn Jahre lang nicht steigen, die Steuereinnahmen aber jedes Jahr um drei Prozent anwachsen, dann könnte dies klappen.

Die föderale Gemeinschaft hilft Bremen auf diesem schweren Weg mit der Zusage, pro Jahr 300 Millionen Euro „Zinsbeihilfen“ zu zahlen – solange der „Konsolidierungspfad“ strikt eingehalten wird.

Was aber bedeutet „strikt“? Das ist die Frage, um die sich die Experten seit Monaten streiten. Die Bundesregierung geht von dem Modell des „Maastricht“-Vertrages aus. Demzufolge darf die Neuverschuldung der EU-Mitgliedsstaaten jedes Jahr nur 0,5 Prozent des Bruttoinlands-Produktes (BIP) ausmachen. In Notfällen können es bis zu 3 Prozent sein. So ähnlich soll das Modell für Bremen auch aussehen.

Das findet die Bremer Finanzsenatorin nicht akzeptabel. Denn erstens ist in Bremen der Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskraft-Kennziffer BIP und den Steuereinnahmen sehr gering. Zweitens kann das BIP immer erst im Nachhinein errechnet werden – rückwirkend kann man aber Ausgaben nicht korrigieren.

Das Bremer Gegenmodell sieht vor, dass für die „Konsolidierung“ die Steuereinnahmen als Maßstab gelten: Je mehr die Einnahmen wachsen, desto stärker soll die Neuverschuldung abgebaut werden. Im Durchschnitt sollen es zehn Mal 100 Millionen Euro sein.

Der Bremer Vorschlag hat einen Schönheitsfehler, der jüngst dem Handelsblatt gegenüber ausgeplaudert wurde: Im Jahre 2011 könnte Bremen noch einmal die ganze Milliarde bei der Neuverschuldung überschreiten. Erst 2012 würde die Reduzierung beginnen und gegen Ende der Periode dann jährlich mehr als 100 Millionen Euro betragen müssen.

Der Verdacht: Vor dem Wahljahr 2012 gönnen sich die Bremer noch einmal einen Schluck aus der Pulle nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut“.

Aber Karoline Linnert, die Bremer Finanzsenatorin, geht nicht davon aus, dass sie 2012 abgewählt wird. Im Jahre 2011 wird es konjunkturbedingt noch deutlich geringere Steuereinnahmen geben, erst für 2014 rechnen die Experten mit dem Niveau von 2008. Daher sei es nur sachgerecht, so Linnert, wenn der Beginn des Neuverschuldungs-Abbaus später beginnt. Im September wollen die Experten von Bundesregierung und Konsolidierungs-Ländern einen Kompromiss finden. kawe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen