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Strampeln auf dem Mars

Straßenradsport ist in den USA eine Sportart am äußeren Rand. Trotzdem dominieren US-Boys regelmäßig die Frankreich-Rundfahrt. Kann Floyd Landis nun für mehr Nachhaltigkeit sorgen?

AUS PARIS SEBASTIAN MOLL

Noch immer sind die Amerikaner im Fahrerfeld Außenseiter und Exoten – eine Minderheit, die gern unter sich bleibt. Sie klammern sich aneinander in der fremden Umgebung mit all den vielen Sprachen, in einer Welt, die Tour-Sieger Floyd Landis laut eigener Aussage in seinen ersten Profijahren wie der Mars vorkam. Dabei sind die Amerikaner mittlerweile die Radsportnation Nummer 1. Elf der vergangenen zwanzig Ausgaben der Tour wurden von US-Boys gewonnen. Drei gehörten in diesem Jahr zum erweiterten Favoritenkreis der Tour.

Das ist umso erstaunlicher, weil in den USA Radsport auch nach Lance Armstrong noch eine Sportart am äußersten Rand des Spektrums ist. Das Netz an Rennen und Clubs ist dünn – nur in weit übers Land verstreuten Zentren wie San Francisco, Neu-England, Austin, Texas und Michigan gibt es eine aktive Szene. Dass ein Kind in den USA mit dem Radsport anfängt, ist unwahrscheinlich. Und noch im vergangenen Jahr gab es einen öffentlichen Aufruhr, als Armstrong zum Sportler des Jahres gewählt wurde. Verglichen mit den Verrichtungen eines Baseballpitchers, behaupteten einflussreiche Traditionalisten, sei diese Rumradlerei doch kein richtiger Sport.

Kurzzeitige Konjunktur

Die Generation von Fahrern rund um Armstrong kam im Windschatten von Greg LeMonds Tour-Siegen Ende der Neunzigerjahre zum Radsport. LeMonds Erfolg erzeugte eine kurzzeitige Konjunktur des Sports, es fanden sich vorübergehend sogar Sponsoren für Profirennen. Die Coors Classic im amerikanischen Süden waren so eine Veranstaltung: „Wir haben damals alle durch die Coors Classic unsere Begeisterung entdeckt“, erinnert sich Jonathan Vaughters, einstiger Mannschaftskamerad von Armstrong und jetziger Leiter einer amerikanischen Profi-Mannschaft.

Armstrong, Vaughters, George Hincapie und Bobby Julich waren Pioniere. Sie brachten sich mit Enthusiasmus und Ehrgeiz selbst das Handwerk bei und gingen auf eigene Faust nach Europa, um ihr Glück zu machen. Bis heute bilden die Übriggebliebenen aus dieser Gruppe das Gros der US-Profis im europäischen Rennzirkus – George Hincapie, Bobby Julich, Levi Leipheimer. Der jetzige Tour-Sieger Landis gehörte zwar nicht zu dieser Kerngruppe. Aber als Quereinsteiger aus dem Mountainbikesport hängte er sich an ihre Hinterräder und profitierte davon. „Ich bin ein Teil des Armstrong-Phänomens“, sagt er.

Der Aufschwung rund um LeMond hielt jedoch nicht lange vor, Rennen wie die Coors Classic starben wieder, Förderprogramme des US-Radsportverbandes US Cycling wurden mangels Geld und Zulauf wieder eingestellt. Erst Armstrongs Siege entfachten wieder eine gewisse Begeisterung für den Radsport in den USA. Seit 2000, einem Jahr nach dem ersten Sieg von Armstrong, hat der US Radsport-Verband zwanzig Prozent mehr Rennlizenzen vergeben als vorher.

Auch gibt es heute wieder zwei Profirennen in Amerika, die Tour of Georgia und die Tour of California. Der Verband US Cycling betreibt wieder systematische Nachwuchssichtung, inklusive eines Radsportinternats in Belgien, wo die Jugendlichen an die Härte der europäischen Konkurrenz gewöhnt werden. Bis diese Jugendlichen Profireife erreicht haben, dauert es allerdings noch eine Weile.

Als Publikumssport bleibt Radsport jedoch trotz Armstrong ein Randphänomen. Die Tour wird nur von einem Sender übertragen, dem Spartensender Outdoor-Life Network, den man nur mit einem erweiterten Kabelpaket auf den Bildschirm bekommt. Neben Radsport gibt es dort Dinge wie Rodeo-Reiten und Reportagen über Sportfischen zu sehen. In den Tageszeitungen erwachte das Interesse an der Tour in diesem Jahr erst in der Mitte der letzten Tour-Woche, als sich Landis mit seinem spektakulären Alpenritt wieder an die Spitze katapultierte. „Die ersten zwei Tour-Wochen hatte ich gar nichts zu tun“, klagte der US-Radsport-Korrespondent Andrew Hood.

Immerhin ist Radsport in den USA in den vergangenen Jahren zu einem Fitnesstrend für gehobene Einkommensklassen geworden. Für die Jahrgänge 1950 bis 1965, beobachtete im vergangenen Jahr das Magazin Businessweek, habe Radfahren Golf und Tennis abgelöst. Mit der Dotcom-Ära Ende der Neunzigerjahre wurde es in der Geschäftswelt trendy, sich schweißtreibend abzustrampeln. Und das Fahrrad ist für beanspruchte Gelenke eh gesünder als Joggen. Armstrong tat sein Übriges.

Neuer Trend: Schwitzen

Dem Rennsport kam das jedoch nur indirekt zugute. „Die Sponsorensuche für meine Mannschaft ist ein wenig einfacher geworden“, sagt Jonathan Vaughters, „weil in den Vorständen viele Leute selbst Rad fahren.“ Allerdings, fügt er an, sei es noch immer ein zähes Geschäft. „Man kommt zwar mittlerweile über das Vorzimmer hinaus. Aber dann kommt immer gleich die Frage, ob Armstrong etwas damit zu tun hat.“ In den Köpfen der meisten Amerikaner bleibt Radsport in den USA synonym mit Armstrong. So waren in den ersten zwei Wochen der diesjährigen Tour die Einschaltquoten bei OLN um fünfzig Prozent niedriger als im Vorjahr. Erst nach der Flucht von Landis schalteten wieder mehr Leute ein.

Ob Floyd Landis die von Armstrong erzeugte Tour-Begeisterung auf Dauer wird weiter tragen können, ist zweifelhaft. Der Armstrong-Biograf Dan Coyle, der auch eine Reihe von Artikeln über Landis geschrieben hat, sagt: „Der Mennoniten-Hintergrund von Landis und das Drama um seine Hüftoperation haben als Story ein gewisses Potenzial, ein breites Publikum für eine Weile zu fesseln. Aber auf keinen Fall in dem Ausmaß, wie das bei Lance der Fall war.“

Landis’ Sieg wird sicherlich den Radsport in Amerika davor bewahren, dass er wie nach LeMond wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Auf einem soliden Fundament steht er jedoch noch lange nicht. Bis auf weiteres werden amerikanische Tour-Siege die Erfolge von besessenen Einzelgängern sein – von Männern wie Floyd Landis und Lance Armstrong.

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