WAR DIE FRAU MIT DEM DAMENBART EIN ARMES DING? ODER WAR DIE FRAU MIT DEN AUGENBRAUEN EINE ZÄRTLICHE AGENTIN DES MATRIARCHATS?: Die Fridaschlange
VON ULRICH GUTMAIR
Frida Kahlo – war das nicht die Kitschikone der achtziger Jahre? Die Frau mit dem Damenbart? Deren große, frech geschwungene Augenbrauen über der Nase fast zusammenwuchsen? Die bei einem Busunfall von einer Metallstange durchbohrte, schmerzensreiche Heilige spirituell veranlagter Feministinnen?
Dass Frida Kahlo ein Star ist, lässt sich an der Schlange vor dem Martin-Gropius-Bau ablesen. Dort ist noch bis Montag eine große Schau ihrer Bilder zu sehen. Morgens um zehn befindet sich der Anfang der Fridaschlange, die es schnell zu eigener Boulevardberühmtheit brachte, direkt an der Kante Stresemannstraße. Bis zum Eingang des Gropius-Baus sind es 150 Meter. Wer hier steht, wird gute sechs, sieben Stunden brauchen, bis er bei der heiligen Frida ist.
Die Fridaschlange, das sind viele Frauen zwischen 40 und 70. Manche sind mit ihren Freundinnen hier, manche stehen mit ihren Männern an. Wenn man wissen will, warum sie die Mühe auf sich nehmen, um die Bilder einer Frau zu sehen, die man schon kennt, muss man dahin gehen, wo sich die Schlange der Wartenden in die Menge der Schauenden verwandelt.
Die arme Frau!
Still ist es in der Ausstellung, fast wie in einer Kirche. Hier drinnen zerfällt die Fridaschlange in proppere Upper-Middle-Class-Wilmersdorferinnen im Pensionsalter und ältere Freaks im Rollstuhl, in akademisch gebildete, bürgerliche Hausfrauen und akademisch gebildete Frauen mit einer feministischen Geschichte. Man spricht nur leise vor den Gemälden, auf denen Kahlo ihre physischen und seelischen Verletzungen mittels einer Malerei der Symbole vermittelt. Ja, sie wurde am 17. September 1925 von einer Eisenstange durchbohrt. Ja, sie litt unter den Affären ihres Mannes. Sie erlitt eine Fehlgeburt und verlor einen Unterschenkel. Es bleibt nicht aus, dass da sensible Damen seufzen: „Die arme Frau!“
Dabei beginnt die Ausstellung doch nicht von ungefähr mit den Fotografien einer strahlenden, stolzen und selbstbewussten Frau. 1939 legt Kahlo den Arm um Nickolas Muray, mit dem sie eine längere Liebesbeziehung hat. Ihre Arm ruht auf seiner Schulter, ihr Zeigefinger auf seiner Wange. Es ist eine matriarchale Geste, die kein Besitzverhältnis anzeigt, sondern eine zupackende Zärtlichkeit, die ihre sexuellen Wünsche und Bedürfnisse deutlich macht.
Das Private ist politisch
Frida, „die arme Frau!“, war Verfechterin des in manchen Teilen Mexikos noch immer herrschenden Matriarchats. Sie war Kommunistin, malte sich Hammer und Sichel aufs Gipskorsett und hatte eine Affäre mit Leo Trotzki. Aber porträtierte sie nicht immer Menschen mit traurigen, ernsten Augen? Stimmt schon, aber sie malte auch Bilder von sich selbst, die offen ironisch sind in ihrer Anmutung katholischer Heiligenbilder und Votivtafeln. Die voll Psychologie sind und also nichts weniger als ultramodern.
Wenn es eine Malerin gibt, die zeigt, dass das Private das Politische ist, dann ist das Frida Kahlo. Ihre Bilder handeln von den wesentlichen Dingen des Lebens, die von der Männerkultur aus guten Gründen nicht repräsentiert werden. Das hat ihr Werk vor allem für Frauen interessant gemacht, die in ihr gerade kein Identifikationsobjekt für weibliche Opfererfahrungen sehen, sondern eine surrealistische Aktivistin. Schließlich gibt es auch eine luxuriöse Form des patriarchal Unterdrücktseins, wo der Status der Repräsentationsfrau mit einem stresslosen Leben voll von Annehmlichkeiten belohnt wird. Für solche wohlriechenden Wesen ist Kahlo ein armes und vielleicht sogar ein bisschen dummes Ding, eine mexikanische Justine und Schmerzensmutter. Wir aber wissen: Die Frida, die ist von unserer Partei.
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