: Nepals Einheitsfront bekommt Risse
Im erfolgreichen Bündnis zwischen der Parteienallianz und den Maoisten, das König Gyanendra mit Massenprotesten Ende April zur Aufgabe seiner absoluten Macht zwang, werden die Differenzen über den Weg zur Demokratie immer deutlicher
AUS DELHI BERNARD IMHASLY
In der bisherigen Einheitsfront zwischen den demokratischen Parteien und den Maoisten zeigen sich erste Sprünge. Am Montag sandte Maoistenchef Prachanda einen Brief an Kofi Annan, in dem er dem UN-Generalsekretär klarmachte, dass sich die Rolle der UNO bei Wahlen auf das „Management der Waffen“ beschränke, und zwar jene der Armee wie der Guerilla. Prachandra verurteilte die Einladung von Premierminister G. P. Koirala an die UNO. Koirala hatte die UNO aufgefordert, bei den Maoisten eine „Ausmusterung“ der Waffen vorzunehmen, während die Armee zunächst nur in die Kasernen beordert würde.
Prachanda nannte das eine „Provokation“ und Verletzung des Acht-Punkte-Abkommens zwischen Maoisten und Regierung vom 16. Juni. Eine Waffenabgabe der Maoisten sei „undenkbar“. Die Vereinbarung behandelt in der Tat beide Armeen gleich und spricht nur vom Management der Waffen. Es ist denkbar, dass der greise Premier von den großen Zugeständnissen abrücken wollte, die er den Maoisten gemacht hatte.
Laut Abkommen sollte innerhalb von zwei Wochen eine Übergangsverfassung formuliert werden. Beide Parlamentskammern würden sofort aufgelöst wie auch die „Dorfkomitees“ der Maoisten. Sie werden durch ein „alternatives Arrangement“ ersetzt, in dem auch Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen sollen. Diese Versammlung bestimmt in Monatsfrist eine Übergangsregierung, die Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung bis April 2007 vorbereiten soll.
Die UNO wurde eingeladen, beide Armeen und deren Waffen vor und während der Wahlen zu „überwachen“. Die Maoisten bekennen sich zu „freien und fairen Wahlen“ innerhalb eines „kompetitiven Mehrparteiensystems“. Die Armeen sollen miteinander verschmolzen werden. Beide Seiten verpflichten sich, „die Probleme der Nation auf dem Verhandlungsweg zu lösen“, und zwar auf der Basis „einer fortschrittlichen Neuausrichtung des Staats“. Das Abkommen war der Abschluss einer außerordentlichen demokratischen Umwälzung, die in zwei Monaten das 250-jährige Königshaus zu einer Marionetteninstitution hat schrumpfen lassen. Sie beendete einen zehnjährigen Bürgerkrieg und erreichte, dass eine gewalttätige Maoistenbewegung auf den Weg der parlamentarischen Demokratie zurückfand, wobei diese tief greifende Umwälzung in einer weit gehend spontanen Protestbewegung in den Straßen ablief. Sie hatte von Kathmandu aus das ganze Land erfasst und blieb trotz des immer härteren Einsatzes der Sicherheitskräfte gewaltlos.
Prachanda hatte zweifellos Recht, als er nach Unterzeichnung des Abkommens am 16. Juni sagte: „Wir haben zusammen Geschichte geschrieben. Niemand hätte gedacht, dass Rebellen, die auf dem Kriegsfuß stehen, und Parteien, die sich mit Parlamentspolitik abgeben, zusammen eine Revolution bewerkstelligen können.“ Die Maoisten setzten mit der Vereinbarung alle ihre Forderungen durch. Die Sieben-Parteien-Allianz (SPA) hatte das Parlament erst nach Gründung der verfassunggebenden Versammlung auflösen wollen und hatte auch keine Interim-Verfassung gewollt. Koirala fügte sich dem Argument der Maoisten, wonach sie gleichberechtigt seien und dies noch vor Wahlen zum Ausdruck kommen müsse. Der Subtext: Sie wollen bei deren Vorbereitung mitmischen.
Warum gab Koirala nach? Beobachter verweisen darauf, dass die Maoisten im Vorfeld des Treffens landesweit große Siegesfeiern durchgeführt hatten, während kein einziger Politiker fähig war, auch nur eine kleine Versammlung auf die Beine zu stellen. Die Botschaft: Der Zivilstaat mag Kathmandu und einige Städte kontrollieren, aber im weitaus größten Teil des Landes haben die Maoisten das Sagen.
Der jüngste Wortwechsel über das Mandat der UNO zeigt, dass die Maoisten nicht gewillt sind, ihre auf 25.000 Mann geschätzte „Volksarmee“ aus der Hand zu geben. Die SPA hat eine weitere Forderung nicht durchsetzen können: Es gelang Koirala nicht, die Maoisten zum Stopp der Gelderpressungen zu bewegen.
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