GEWINN-ERMITTLUNG: Glück in 10245 Berlin
Ständig diese Diskussionen über die Rente. Das Alter ist mir schnurz, da ich selbständig bin und meine Rente ohnehin mehr als lächerlich ausfallen wird – außer, es geschieht ein Wunder. Dieses Wunder kündigte sich in einem Brief von der Günther Club Services GmbH aus Bamberg an. Mir wurde mitgeteilt, dass ich von der „Gewinn-Ermittlung nominiert“ wurde. „Eine 20-Jahres-Rente von monatlich 4.444 Euro kann schon Ihnen gehören und dazu ein Geschenk im Wert von 100 Euro.“ Das Wörtchen „bald“ schien rausgefallen zu sein, aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Die Gewinn-Ermittlung schrieb, dass ich „zu den wenigen gehöre, die in 10245 Berlin dieses Glück haben“. 10245 ist eine Postleitzahl von Friedrichshain, wo nicht gerade die Reichen zu Hause sind.
Mit einem Feuerzeug rubbelte ich meine Glücks-Nummer frei. G 60942321. Zärtlich strich ich über die Zahl und stellte mir vor, 20 Jahre lang Monat für Monat 4.444 Euro einzusacken, die ich mit Rubbeln verdient hätte. Gewinner, die noch nicht im Rentenalter sind, hieß es im Postscriptum, bekommen die Rente als zusätzliches Haushaltsgeld. „Rufen Sie sofort an und fordern Sie Ihr Glück.“ Ich wählte die kostenlose Hotline und erfuhr, dass ich die Rente nicht gewonnen habe. „Aber sie gehen nicht leer aus“, versicherte die Dame und versprach für das G vor meiner Glücksnummer einen Gutschein von 100 Euro. Wofür der ist, konnte sie nicht sagen.
Eine Stunde später flatterte mir ein ganz anderer Gewinn ins Haus, in Form einer Mail von meinem Verlag. Ein japanischer Verlag hat die Übersetzungsrechte eines meiner Bücher erworben. Ich bekomme im nächsten Jahr die Hälfte von sage und schreibe 132.000 Yen. Das sind zwar nur 600 Euro. Aber ein eigenes Werk in japanischer Sprache in der Hand zu halten, ist unbezahlbar. Außerdem gehöre ich damit garantiert zu den wenigen, die in 10245 Berlin dieses Glück haben. BARBARA BOLLWAHN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen