: Rückenwind für Atomausstieg
Der Beinahe-GAU in Schweden entfacht Debatte über Atomkraft im Norden neu. Großer Koalition in Schleswig-Holstein droht die Spaltung, Energiekonzern Vattenfall in Bedrängnis. Das AKW Krümmel wird derweil weiter aufgerüstet
Die Große Koalition in Kiel droht sich an der Atomkraftfrage zu spalten. Einen „konsequenten Ausstieg aus der Atomenergie“ forderte gestern Sozial und Energieministerin Gitta Trauernicht (SPD). Nach dem Störfall im schwedischen Reaktor Forsmark lehne sie „nachdrücklich eine Verlängerung der Laufzeit des Kernkraftwerks Brunsbüttel ab“, teilte sie mit. Damit erteilte sie Überlegungen der Energiewirtschaft eine Absage, die Laufzeit des Meilers zu verlängern.
Unterstützung erhielt sie umgehend von ihrem Parteichef Claus Möller: „Atomkraftwerke sind nur sicher, wenn sie abgeschaltet sind“, erklärte der langjährige Energieminister des Landes. Jede Debatte über eine Verlängerung der im Atomkonsens festgelegten Laufzeiten müsse beendet werden: „Die Risiken sind nicht verantwortbar.“
Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) hingegen wollte „nicht der politischen Versuchung erliegen, vom Ausfall eines Notstrom-Aggregats auf das gesamte Risiko der Kernkraft zu schließen“. Dies erschwere eine ernsthafte Debatte darüber, was für die Sicherheit dieser Stromquelle getan werden könne, sagte Austermann.
In Schleswig-Holstein sind die drei Atomkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf aktiv. Betrieben werden sie von den Energiekonzernen E.on und Vattenfall Hamburg, der Tochter des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall. Dieser betreibt, ebenfalls zusammen mit E.on, das AKW Forsmark nördlich von Stockholm. Vorgestern wurde bekannt, dass es dort vor einer Woche fast zur Kernschmelze gekommen wäre – dem Größten Anzunehmenden Unfall (GAU) wie vor 20 Jahren in Tschernobyl. Vattenfall Hamburg beteuerte gestern, in den hiesigen AKWs sei ein solcher Fehler ausgeschlossen. Dennoch würden sie vorsorglich untersucht.
Die Grünen in Kiel forderten die sofortige Abschaltung der drei Meiler an der Elbe. Es müsse schnell geklärt werden, ob die Notstromversorgung funktioniere oder „ein Konstruktionsfehler vorliegt“, sagte Parteichefin Marlies Fritzen. Der Vorfall in Schweden habe erneut bewiesen, dass die Atomkraft „eine unverantwortliche Technologie ist“.
Unbeeindruckt von der Debatte begann Vattenfall gestern damit, den Wirkungsgrad in Krümmel durch neue Turbinen zu erhöhen. Ziel ist eine Steigerung der Leistung um 75 auf mehr als 1.400 Megawatt. Dann wäre der Siedewasserreaktor bei Geesthacht der größte in ganz Deutschland. SVEN-MICHAEL VEIT
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