: Beschwingt durch Pfützen
SWING Tanzen bei jedem Wetter und im Pool: Der Lindy-Hop mit seinen besonderen Bewegungsfreiheiten kehrt zu den Tanzböden Berlins zurück, zum Beispiel bei den Swingabenden auf der Tentstation
VON FRANZISKA BUHRE
Der Wind rauscht durch die Bäume auf dem Gelände der Tentstation, diesem ersten und temporären Refugium für urbanes Zelten um die Ecke des Berliner Hauptbahnhofs. Auf dem Weg zum aufgelassenen Schwimmbecken, vorbei an fliegenden Bauten jeglicher Ausstattung und Farben, kommen mit jedem Schritt Gesangsstimmen und Bläserklänge näher. Der Pool ist für die Musik, die Jörg Heidemann, alias DJ Impulse, am Sonntagabend hier auflegt, ein ungewöhnlicher Resonanzraum, in dem sich Tanzende mit sichtlichem Vergnügen paarweise bewegen. Heidemann spielt alles, „was afroamerikanische Wurzeln hat“, von frühem Blues über Swing der 1930er und 1940er Jahre bis zu Soul, Funk und HipHop. Als wieder ein Regenschauer über das Areal zieht, tanzt er mit Regenschirm und Partnerin zu Singin’ in the rain.
In jeder möglichen Partnerkonstellation tanzen auf dem hellblauen, mitunter nassen Poolboden Jung und Alt den Paartanz Lindy Hop, barfuß, in Turn- oder Lederschuhen. Dabei federn sie auf und ab, halten sich locker umarmt oder entfernen sich auf Armlängen voneinander. „Dass man gemeinsam der Musik zuhört, sehr körperlich aufeinander achtet und sich selbst spielerisch ausdrücken kann“, das macht für Jörg Heidemann das Lindy-Hop-Tanzen so besonders. Häufig wird Lindy Hop in Tanzkursen unter dem Überbegriff Swing angeboten. Zu diesem Musikstil ist er im Amerika der 1930er und 1940er Jahre auch entstanden. Kein anderer Tanz hat sich in jener Zeit aber so eigenständig entwickelt. Den Berlinern wurde Lindy Hop schon im Mai 1930 in einer Tageszeitung als „Amerikas Neuester Tanz“ vorgestellt, der „die Welt für eine gewisse Zeit erschüttern wird.“ Die „große Sensation des Lindy Hop“ sei, dass die Tanzenden in seinem Verlauf getrennt voneinander sind, „beinahe eine Art Reigen zu zweit“. Gemeint ist damit der sogenannte Swingout, eine Raumfigur, die es beiden Partnern gleichermaßen ermöglicht, den Tanz zu zweit spontan mit eigenen Bewegungsideen zu gestalten. Zugleich hat der Tanz zahlreiche Charleston-Elemente in sich aufgenommen und weiter entwickelt. Im Lindy Hop ist eine Offenheit des Miteinanders angelegt, die es Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen in den USA lange vor Aufhebung der Rassentrennung ermöglichte, gleichberechtigt die Tanzfläche zu betreten.
Von diesem offenen Umgang miteinander wird auch heute noch, beim Zuschauen vom Startblock am Beckenrand des Pools in der Tentstation aus, etwas spürbar. Die Lust am Ausprobieren wechselnder Bewegungen scheint die Tanzenden in gelöste Stimmung zu versetzen. Auch Camper, von der Musik aus ihren Zelten gelockt, mischen sich gern unter die Zuschauer und machen Fotos.
Ein wenig Wehmut begleitet diesen Abend dann doch, denn mit dem nächsten Termin am 5. September wird es „Swing im Pool“ zum letzten Mal gegeben haben. Die Tentstation wird mit dem Ende der Saison ihre Zelte abbrechen müssen, da ein Investor das Gelände in eine Wellnessanlage verwandeln will. Für Jörg Heidemann geht es trotzdem weiter. Schließlich hat er einen Onlinekalender mit initiiert, in dem viele Tanztermine einsehbar sind. Er selbst beschwingt am 25. September wieder den Horst Kreuzberg.
Wer swingende Musik vielleicht altbacken oder uncool findet, könnte sich eingehender nach der Bedeutung von Groove für den eigenen Musikgenuss in Verbindung mit Bewegung fragen. Dieses Wort, das heute selbstverständlich von Musikern und vom Publikum angewandt wird, kam nicht erst in den Sixties auf, als Souljazzer groovy spielten. Bereits in den 1930er Jahren nutzten es Tanzende und Musiker für Musik, die Bewegung besonders herausforderte, nämlich Swing.
Lernen kann man Lindy Hop übrigens zum Beispiel im Tangostudio Mala Junta in Schöneberg am 28. August oder beim Hochschulsport von der Technischen Universität Berlin.
■ Aktuelle Tanztermine unter: www.swinginberlin.de
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