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Im schwarzen Loch des Absoluten

Ein alter Maler, ein junges Modell und ein Bild, das dem Geheimnis der Natur so nahe kommt, dass es nach seiner Fertigstellung den Blicken des Publikums verborgen bleiben muss: Jacques Rivettes Spielfilm „Die schöne Querulantin“ aus dem Jahr 1991 kommt wieder ins Kino

von BERT REBHANDL

Die Kunst „ist gewiss Teil des kapitalistischen Kreislaufs, aber darin ein großes Rätsel“, hat Roger M. Buergel, der künstlerische Leiter der kommenden documenta, unlängst geäußert. Das größte von diesen Rätseln ist vermutlich die Malerei. Mit exzellenter Technik (oder dem Verzicht darauf) erreicht ein Maler vielleicht den „Anschein des Lebens“, aber drückt er auch „sein Zuviel aus, das über die Ufer tritt, jenes Irgendetwas, das vielleicht die Seele ist und das wolkig über der Hülle schwimmt“?

So formuliert der Maler Frenhofer in Honoré de Balzacs Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk“, und so ähnlich spricht auch der von Michel Piccoli gespielte Maler Frenhofer in Jacques Rivettes Film „Die schöne Querulantin“ („La belle noiseuse“), während er sein Modell Marianne (Emmanuelle Béart) in immer neue Posen zwingt. Er will die nackte Frau nicht einfach malen, er will etwas aus ihrem Körper herauszwingen, das sich der Beschreibung entzieht.

Das Modell ist für den Maler ein „schwarzes Loch“, ein „Wirbelwind“, das Bild ein Meisterwerk nach Kriterien, die nur wenige Eingeweihte verstehen. Wen wundert es also, wenn Laien den Unterschied zwischen guten und schlechten Bildern nicht erkennen und auch Kritiker keine besseren Anhaltspunkte haben als „jenes Irgendetwas“, von dem Frenhofer spricht? „Die schöne Querulantin“ kam 1991 heraus, drei Jahre, nachdem Jacques Rivette mit „Die Viererbande“ einen großen Erfolg gelandet hatte. Die vierstündige Fassung ist ein Exerzitium, atmet aber auch die Zeitlosigkeit eines Urlaubs im sonnigen Südwestfrankreich. Der junge Maler Nicolas (David Burzstein) ist mit seiner Freundin Marianne in das Dorf gekommen, um dem verehrten Edouard Frenhofer einen Besuch abzustatten. Frenhofer hat seit zehn Jahren nicht mehr gemalt, seit er ein Gemälde mit dem Titel „La belle noiseuse“ aufgegeben hat, für das seine Lebensgefährtin Liz (Jane Birkin) Modell stand. Seine letzte Ausstellung war im Jahr 1974. Seither lebt er von seinem Ruhm oder seinem Vermögen – seine materielle Situation wird nicht weiter thematisiert, sein Anwesen ist jedenfalls von herrschaftlicher Größe.

In der Geschichte von Balzac, deren Grundmotive das Drehbuch von Pascal Bonitzer und Christine Lavant sehr genau übernimmt, heißt es über Frenhofer: „Er ist ein wunderbarer Maler, aber er hatte das Unglück, reich geboren zu werden, denn das erlaubte ihm Abschweifungen; ahmt ihn nicht nach! Arbeitet! Maler dürfen nur mit dem Pinsel in der Hand nachdenken.“ Michel Piccoli macht aus Frenhofer einen schwer atmenden, alternden Egoisten, der gern trinkt und kaum gesellschaftsfähig ist. Dass Liz bei ihm bleibt, schreibt sie ihrer eigenen Verrücktheit zu. Eine träge Sommerstille liegt über dem Dorf. An Marianne inspiriert sich der Maler neu. Er überwindet seine Verzweiflung, während die junge Frau ihrerseits die Rolle des Modells immer wichtiger nimmt.

Die Entstehung des Bildes „La belle noiseuse“ (zugleich die Übermalung des alten Bildes, auf dem das Gesicht von Liz zu sehen gewesen war) erscheint tatsächlich als eine Art Koproduktion, zu der Maler und Modell so intensiv beitragen, dass das Werk am Ende nicht zeigbar ist. Es stellt das Gegenteil eines MacGuffins bei Hitchcock dar, also eines Gegenstands, der so überdeutlich im Zentrum steht, dass gar nicht genau hinterfragt wird, um welchen Inhalt es geht. Von einem Wechselspiel zwischen „logischer Verborgenheit“ und „optischer Präsenz“ schrieb Hans Blumenberg mit Blick auf dem MacGuffin. In „Die schöne Querulantin“ wird der Kunstbetrieb zur Umkehrung eben dieses Wechselspiels. Das Bild gewinnt eine logische (oder systemische) Präsenz, indem es seine optische Präsenz verliert. „Das unbekannte Meisterwerk“ bekommen wir nicht zu sehen, weil es zu nahe an das Geheimnis, das „Arkanum der Natur“ (Balzac) rührt. Es wird durch ein erträgliches Gemälde ersetzt, das dem Kunstsinn des Sammlers (und dessen Spekulationsgeist) genügt. Die Kunst kreist um ein schwarzes Loch des Absoluten, von dem Jacques Rivette nur das zeigen kann, was noch dem Leben angehört. Frenhofers Selbsterlösung mit seinem „ersten posthumen Bild“, wie er pathetisch sagt, müssen wir nicht nachvollziehen. Das Publikum bleibt zwischen Komödie und Tragödie, zwischen Vampirgeschichte und Sommernachtstraum, zwischen dem Buch der Könige und der Mythologie des Voodoo, zwischen Kapitalismus und Rätsel, in der Schwebe eines offenen Kunstwerks.

„Die schöne Querulantin“. Regie: Jacques Rivette. Mit Michel Piccoli, Jane Birkin, Emmanuelle Béart u. a., Frankreich 1991, 240 Min.

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