URS WÄLTERLIN ÜBER DEN WAHLAUSGANG IN AUSTRALIEN: Blockparteien abgestraft
Der spektakuläre Verlust der Mehrheit der australischen Labor-Partei im Parlament sollte eine Warnung an alle Politiker sein. Über Generationen haben sich Labor und die Konservativen in Australien die Macht geteilt. Sie haben sich gegenseitig die Klinke zum Parlament gereicht – regelmäßig alle paar Jahre. Je länger sie das taten, desto ähnlicher wurden sich beide Parteien. Im Wahlkampf war es gelegentlich schwierig, zu sehen, welche Parole von welcher Partei kam.
Der Entscheid des australischen Volkes, keiner der beiden Großparteien das Recht zu geben, eine eigenständige Regierung zu bilden, ist nicht nur ein Schlag gegen Labor, er ist auch ein Schlag gegen die Konservativen. Sie haben nur so gut abgeschnitten, weil viele Wähler Labor für die Arroganz bestrafen wollten.
Der Entscheid vom vergangenen Samstag ist ein Sieg für die Demokratie und vielleicht der Anfang vom Ende der faktischen Zweiparteienpolitik, die Australien seit Generationen dominiert. Die Tatsache, dass bald bis zu vier parteilose Unabhängige und ein Grüner im Repräsentantenhaus sitzen und die Grünen im Senat das Zünglein an der Waage werden, ist Zeichen für den Wunsch des Volkes, das historische, aber nirgendwo festgeschriebene Monopol zweier Blöcke zu brechen. Viele Australierinnen und Australier haben das als arrogant und eigennützig empfunden. Die Bürger klagen, die von Privilegien verwöhnten Berufspolitiker verstünden kaum noch ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen.
Kein Wunder, dass die Strategen der Großparteien heute sprachlos sind: Zum ersten Mal seit sieben Jahrzehnten sind sie gezwungen, mit Volksvertretern Kompromisse einzugehen, Macht an sie abzugeben, mit denen sie bis Freitag nicht mal Kaffee getrunken hätten. Das Volk holt sich seine Stimme zurück.
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