: Die Knigge-Frage
Sind Entschuldigungen, die zu spät kommen, sinnlos?
Herrgott noch mal, soeben habe ich eine meiner Lieblingskolleginnen beleidigt. Ich hatte versucht, den Unterschied zwischen ihr und mir zu benennen. Mich finden manche offensiv, scharf, treffend, angriffslustig. Ein „Pitbull“, sagen manche. Andere sagen: „Für dich braucht man ’nen Waffenschein“. Seh ich nicht so, ist aber zwecklos, wie ich es sehe. Ich jedenfalls sagte zu meiner Kollegin, sie sei im Gegensatz zu mir „schafähnlich“. Also Pitbull trifft auf Schaf, laut auf leise, offensiv auf defensiv – so habe ich gedacht. Und sie sofort empört: „Oh, du hast mich Schaf genannt.“ Na ja, dachte ich, ich wollte was Braves, was Zahmes. War wohl das Falsche. Eine halbe Minute war vergangen, ich entschuldigte mich. Fast wäre es zu spät gewesen.
Das allerdings wirft die große Frage auf, ob Entschuldigungen manchmal tatsächlich zu spät kommen. Zur Strafe soll ich die beantworten. Wer laut ist, muss immer was zur Strafe machen.
In Wirklichkeit bin ich die denkbar Falscheste, um diese Frage zu beantworten. Ich bin darauf angewiesen, dass meine Entschuldigungen angenommen werden. Ob Entschuldigungen aber angenommen werden, das ist auch eine Charakterfrage.
Jemand kann offensiv sein und dadurch verletzen. Der Vorteil: alles ist auf dem Tisch. „Dafür entschuldigst du dich!“
Es gibt aber auch versteckte Aggression, relationale Gewalt, Anschwärzen, Versprechen nicht halten, jemanden bewusst ausschließen, so, dass er es erst mitkriegt, wenn es zu spät ist, Manipulation hintenrum – Dinge, die über dich gesagt werden, aber nicht dir. Für die wird niemand eine Entschuldigung einfordern, es ist ja alles nur gefühlt.
Und genau das gleiche Missverhältnis gilt für Entschuldigungen. Auch sie können maskiert daherkommen. Wenn es nämlich Entschuldigungen sind, die gar keine sind. Wenn sie gesagt werden, ohne gemeint zu sein. Aus meiner Sicht: „Nein danke!“ Aber wie immer: Die Welt ist ungerecht.
Da indes setzt auch die Antwort auf die Frage ein, die ich zur Strafe geben muss, weil ich meine Lieblingskollegin ein Schaf nannte: Entschuldigungen können nie zu spät sein, wenn sie ehrlich gemeint sind.
WALTRAUD SCHWAB
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