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der tivoliBeam me back

Vielleicht ist es das schönste Vereinslied des deutschen Fußballs, das Alemannia Aachen da mitgebracht hat in die Bundesliga. „Aber eins das bleibt besteh’n, Alemannia Aachen wird nicht untergeh’n“ von den 3 Atömchen stammt aus den späten Fünfzigern. Vermutlich allerdings wird die Zeile „Doch das Spiel, wie kann es anders sein, das gewinnt der andere Verein“, noch häufiger zutreffen während der gerade begonnenen Saison. Heute käme wohl niemand auf die Idee, ein Vereinslied mit solchem Inhalt zu dichten, doch in Aachen wird der Text auch vor den neuerdings stattfindenden Bundesligaspielen mit großer Hingabe gesungen. Aber die Sache mit der Zeit ist ohnehin etwas durcheinander geraten dort im äußersten Westen der Republik.

Eine merkwürdige Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Undefinierbarem hat sich da mit Alemannia in die Bundesliga geschlichen. Wie fast überall träumt man von einer großen Zukunft in einer neuen Arena, doch die Gegenwart präsentiert sich als Zeitreise in die Vergangenheit. Denn der Tivoli, das Stadion des Klubs, ist eine echte Kuriosität, ein Anachronismus, der Nostalgiker in wehmütige Melancholie zu versetzen vermag. Für den modernen Fußballkonsumenten wirkt ein Besuch des Tivoli, an dem seit 50 Jahren kaum etwas verändert wurde, wie der Ausflug in ein Fußballmuseum. Wie in den alten englischen Stadien stehen und sitzen die Zuschauer unmittelbar am Spielfeld, nur die Längstribünen sind überdacht, auf den Treppenaufgängen wächst das Moos, die Tribünen sind mit Erdwällen unterfüttert, und in Anlehnung an die Achtziger, als die Stadionsprecher Werbetexte der lokalen Wirtschaft vorlasen, werden in Aachen Anstoßzeit, Auswechslungen oder Zuschauerzahl von regionalen Unternehmern präsentiert.

Mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit wird hier „Marmor, Stein, und Eisen bricht“ geschmettert, es gibt eine der seltenen Gegengeraden, auf denen noch gestanden wird, auf vielen Plätzen sieht man haarsträubend schlecht, und beim ersten Bundesligaspiel, dem 0:1 gegen Schalke, ließ sich Mladen Krstajic derart von der besonderen Atmosphäre verwirren, dass er erst wilde Gesten Richtung Publikum richtete und kurz darauf die Nerven verlor. Nach einer viel zu heftigen Grätsche flog er vom Platz – was das Spiel kurioserweise erst zugunsten der Schalker wendete. Aber man sollte sich über nichts wundern in diesem Stadion. DANIEL THEWELEIT

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