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Ärzte ohne Grenzen gesucht

Es gibt kaum barrierefreie Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen. Die Behindertenverbände beklagen die fehlende Ausstattung der Ärzte. „Die Versorgungslage für Behinderte ist schlechter“

VON MATTHIAS HENDORF

Für Menschen mit Behinderung gibt es in Nordrhein-Westfalen zu wenig barrierefreie Arztpraxen. Vielerorts stellen mehrstufige Treppen, fehlende Behindertentoiletten oder nicht existente Gebärdendolmetscher Barrieren für gehbehinderte, blinde oder taube Menschen dar. Die freie Arztwahl scheint für Behinderte nicht zu gelten, stellen Beratungsstellen fest und fordern mehr Praxen ohne Hindernisse. „Menschen mit Behinderung haben deutliche Probleme einen barrierefreien Arzt zu finden – gerade weil wir eine Personengruppe mit vielen Gesundheitsproblemen sind“, sagt Horst Ladenberger, Leiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben (ZsL) in Köln. Das sei ein Desaster für Behinderte.

Ein Beispiel aus Köln verdeutlicht die Crux. Wer hier per Internet einen Arzt sucht, dessen Praxis für Mobilitätsschwache problemlos zu erreichen ist, wird schnell herausfinden, dass nur wenige zur Auswahl stehen. Von den 2.622 in Köln ansässigen Ärzten (Zahnärzte ausgenommen) sind 120 barrierefrei erreichbar. Das sind 4,6 Prozent. Auf ganz Nordrhein-Westfalen bezogen sind etwa fünf bis zehn Prozent der Arztpraxen „zugänglich“, schätzt Ladenberger.

Natürlich sind diese 120 Kölner Ärzte verschiedenen Fachrichtungen zugehörig, und somit verringert sich die Zahl bei spezifischen Gesundheitsproblemen noch. „Die Versorgungslage für Behinderte ist schlechter, weil die Praxen oftmals nicht zu erreichen sind“, beklagt Ladenberger. Frei zugängliche Gynäkologen gibt es beispielsweise in Köln nur zwei. Will eine Frau aber zu einer Gynäkologin gehen, sucht sie vergebens – laut Internetsuchmaske gibt es in Köln keine. Zwar beruhen die Zahlen auf Selbstauskünften der Ärzte, doch Ladenberger sagt: „Eine deutliche Tendenz ist daraus ableitbar.“

Angelika Gemkow, Behindertenbeauftragte des Landes NRW, will diese Tendenz stoppen. „Ich habe mir ein Ziel gesetzt: NRW ohne Barrieren.“ Immerhin haben in Deutschlands größtem Bundesland fünf bis acht Prozent der Bevölkerung mit Mobilitätsproblemen zu kämpfen. Dazu gehören nicht nur Behinderte, sondern auch ältere Menschen, die einen Rollator benötigen.

Ein erster Schritt war die Änderung der Landesbauordnung vor knapp zwei Jahren. Neubauten, die medizinische Einrichtungen beherbergen, müssen demnach barrierefrei erreicht werden können. Das Problem ist nur: Für bestehende Praxen in Altbauten gilt die geänderte Bauordnung natürlich nicht. „Das ist der Bereich, den es zu regeln gilt“, fordert Ladenberger. Zwar sei es nicht realistisch, jede Praxis im nachhinein barrierefrei zu gestalten. „Aber eine Verdopplung in den nächsten zehn Jahren wäre ein Erfolg“, proklamieren Ladenberger und Gemkow einhellig.

Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg, befürchtet Birgit Cremer, Ärztin aus Köln. „Es gibt keinen Anreiz für Ärzte sich um behinderte Menschen zu kümmern.“ Cremer ist auch für eine bessere Erreichbarkeit der Ärzte – doch müssten dafür die finanziellen Rahmenbedingungen stimmen, sagt sie. Zudem seien viele Ärzte zeitlich schon am Rande des Möglichen. Und behinderte Menschen zu behandeln sei viel aufwändiger.

Horst Ladenberger lässt diese Erklärungsversuche nicht gelten. Er fordert für alle Betroffenen: „Die freie Arztwahl ist ein Recht aller Patienten.“

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