: Liebesspiele sollen originell sein
CHANSON Der Kabarettist Sebastian Krämer ist frecher Musterschüler und abgründig-subversiver Zeitgeistkritiker. Heute im Heimathafen Neukölln
„Diese Tüpfelhyänen / mit den filzigen Mähnen / kochen nie andre weich / denn sie sehn alle gleich / scheiße aus.“ In seinem Anzug samt schief gewickelter Krawatte und der stets adrett verwuschelten Frisur mag Sebastian Krämer etwas von einem schusseligen Streber haben, zugleich liegt eine leicht elitäre Anmutung in seinem strahlend-sezierenden Blick. Eines jedoch kann man dem Chansonnier nicht vorwerfen: dass er vor den Niederungen der Alltagssprache zurückschrecke. Auch nicht auf seinem jüngsten Album „Tüpfelhyänen“.
Sebastian Krämer ist als Kabarettist eine Ausnahmeerscheinung. Am Klavier hochvirtuos, komponiert er formvollendete Chansons, in denen gern auch andere Instrumente hinzukommen dürfen. Seine Texte dichtet er mitunter in klassischem Versmaß. Von zärtlich-poetischen Zeilen kippt er dabei oft ohne Vorwarnung in krassere Register. Mit kalkulierten Ausfällen wie „Fick dich selber, hirnbefreites Schalentier!‘“ bekommt die Ambivalenz des Ausdrucks „Wortgewalt“ bei ihm fast körperliche Direktheit.
Die grellen Verbalattacken sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Vordergründig-schlicht fallen Krämers Texte nie aus. Wenn er etwa singt: „Hätt’st du mir heut nicht gesagt: ‚Ich liebe dich‘, / hätt’s auf die Fresse gegeben, mein Schatz“, lässt sein Changieren zwischen spielerischer Berliner Schnauze und angedrohter häuslicher Gewalt einem dann doch das Lachen im Halse stecken bleiben.
Vor Abgründen schreckt Sebastian Krämer nicht zurück, und er scheint sich ihnen sogar mit einigem Vergnügen zuzuwenden. So reimt sich „Militärische Ziele sollen originell sein“ für ihn auf „Liebesspiele sollen originell sein“, als handle es sich um rein ästhetische Angelegenheiten. Wegen seines schwarzen Humors kann man in ihm einen Geistesverwandten des vor zwei Jahren verstorbenen Meisters des „Everblacks“ Georg Kreisler sehen, mit dem Krämer sich durchaus messen lassen kann.
Seit 1996 lebt der 38-jährige Ostwestfale in Berlin, wo er neben seiner eigenen Arbeit für die künstlerische Leitung des Zebrano-Theaters zuständig ist. Zudem gehört er zur Lesebühne „Dienstagspropheten“. Seine Gedichte, die so schöne Titel tragen wie „Wieso jetzt kein Vollmond“, sind seinen Chansons ebenbürtig. Krämer ist in gleichem Maß Musiker wie Poet.
Das gilt selbst für seinen bisher wohl größten Hit, „Deutschlehrer“, den er seit Jahren im Programm hat und der im Grunde ohne „richtige“ Melodie und ohne einen einzigen Reim auskommt. „Deutschlehrer, ihr hättet Bushido verhindern können“, lautet eine der Anklagen, die Krämer, selbst Lehrersohn, der unterrichtenden Zunft darin entgegenschmettert.
In der Regel sind seine Pointen abseitiger. Der Untertitel von „Tüpfelhyänen“ bringt das kritische Anliegen von Krämers Posie auf den Punkt. „Die Entmachtung des Üblichen“ – das klingt pompös, trifft in seinem Beharren auf einem schiefen Blick auf die Dinge und in seiner Verweigerung des vermeintlich „Alternativlosen“ des Alltags einen politischen Kern – nicht nur Angela Merkels Regierungsstil mag hier als Beispiel herhalten.
Bei aller Feinheit und Hintersinnigkeit meint man aus Sebastian Krämers Texten manchmal einen heiligen Ernst herauszuhören. In der Mitte des Albums etwa gibt es drei Minuten Pause, an deren Ende eine Frauenstimme „viel Vergnügen und Erbauung mit dem zweiten Teil“ des Albums wünscht. TIM CASPAR BOEHME
■ Sebastian Krämer: „Tüpfelhyänen – Die Entmachtung des Üblichen“ (Reptiphon/Broken Silence), live heute im Heimathafen Neukölln
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