OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Filme, die auf Ozeandampfern spielen, sind in der Regel stinklangweilig. Da muss man dem Treiben reicher Müßiggänger zusehen und sich mit einer Vielzahl von privaten Dramen beschäftigen, die einen partout nicht interessieren. In Richard Lesters Thriller „Juggernaut“ (1974) ist das anders, nicht zuletzt, weil hier zwei Sprengexperten (Richard Harris und David Hemmings) versuchen, eine komplizierte Bombe zu entschärfen, die ein Erpresser auf dem Schiff untergebracht hat. Jenseits der Thrillerstory gilt Lesters Interesse weniger den Schiffsgästen als vielmehr dem Personal, dem er sich mit manchmal absurden Witz widmet: Da geht es um das Kellnern bei heftigem Seegang, das Ausführen von Hunden an Deck („Ist sowieso schon alles nass hier“), und den Versuch, die Gäste trotz Katastrophenstimmung irgendwie zu unterhalten. Rund zehn Jahre zuvor hatte Lester mit der bezaubernden Rita Tushingham einen filmischen Ausflug nach London gemacht: Die frenetische Farce „The Knack … and How to Get It“ beschreibt die Reise der neugierigen Provinzlerin durch die britische Hauptstadt, wo sie eigentlich den Christlichen Verein Junger Mädchen sucht, aber vor allem auf Sex-Maniacs trifft. Am Ende entscheidet sie sich für den leicht verklemmten Colin, der sich bislang vergeblich mühte, den „gewissen Kniff“ bei den Mädchen herauszufinden. Dass der übermütige und freche Unsinn auf einem Theaterstück beruht, lässt sich bei der Fülle der temporeichen Sight-Gags übrigens nicht mehr erkennen. (Juggernaut, OmU, 13. 9.; The Knack…, 14. 9. Freiluftkino Mitte)
Und noch ein Lester-Film: In „Robin and Marian“ zäumt der Regisseur die Robin-Hood-Geschichte vom Ende her auf: Der Sheriff von Nottingham ist alt und müde, Robin und Little John haben Rückenprobleme, und König Richard Löwenherz ist nur noch ein kindischer Tyrann. Die Helden wirken also rundum desillusioniert, und ihre Versuche, noch einmal das abenteuerliche Leben der Jugend zu führen, tragen das zwangsläufige tragikomische Scheitern in sich. Das gilt auch für die Liebesgeschichte zwischen Robin (Sean Connery) und der mittlerweile als emanzipierte Äbtissin im Kloster lebenden Marian (Audrey Hepburn), die besser als der simple Robin versteht, dass man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann. (OF, 11./15. 9. Zeughauskino)
Einen attraktiven Spielort haben sich die Veranstalter des „Ersten internationalen Caligari-Festivals“ ausgesucht: Für die Vorführung des Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) von Robert Wiene (mit Live-Vertonung durch Thierry Zaboitzeff) konnte das ehemalige Stummfilmkino Delphi in Weißensee reaktiviert werden, das zwischenzeitlich als Lager gedient hatte, in seiner Architektur aber noch unverändert erscheint. Neben dem Original-„Caligari“ gibt es dort (und im gegenüberliegenden Brotfabrik-Kino) in den nächsten Tagen weitere Filme, Performances und Theateraufführungen zu sehen, die sich mit dem Caligari-Mythos auseinandersetzen. (9. 9. Stummfilmkino Delphi)
LARS PENNING
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