: Von wegen altes Eisen!
LERNEN Die Arbeitsmarktchancen für Menschen über 50 sind alles andere als rosig. Deshalb nehmen viele „Fünfziger“ ihre berufliche Zukunft selbst in die Hand
VON BIRK GRÜLING
Bei der Arbeitsagentur machte man Christiane Scheven keine großen Hoffnungen. Ihr letzter Arbeitgeber, eine kleine Buchhandelskette, war gerade Pleite gegangen. Mit Anfang 50 galt sie schon im ersten Gespräch mit dem Jobberater als schwer vermittelbar, trotz 30 Jahren Berufserfahrung und „lückenloser Erwerbsbiografie“, wie es in der Amtssprache so schön heißt. Also hat Scheven sich selbstständig gemacht.
„Ich wollte unbedingt in meinem Beruf bleiben. Der eigene Laden war vielleicht die einzige Gelegenheit dazu“, sagt die 52-Jährige. 38 Quadratmeter hat ihre Buchhandlung „ZweiEinsDrei“ in einer Einkaufsstraße in Hamburg-Altona. Die Regale sind randvoll, ein bisschen politische Literatur, eine kleine Ecke Frauenbücher, ein Tisch mit Bestsellern. „In den 30 Jahren vor der Gründung habe ich ab und zu mit dem eigenen Geschäft geliebäugelt. Mir hat aber immer der Mut gefehlt“, sagt Scheven.
Als sich dann die drohende Arbeitslosigkeit langsam, aber sicher abzeichnete, wurde der Gedanke wieder konkreter. Von Freunden bestärkt, schrieb sie einen Businessplan, mietete ein ehemaliges Reisebüro und beantragte einen Gründungszuschuss. Bereut hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit in den letzten drei Jahren nie, auch wenn sie oft 70 Stunden pro Woche im Laden steht. Mehr als eine Teilzeitkraft will und kann sie sich nicht leisten. „Ich schließe morgens immer noch gerne meinen Laden auf. Der Kontakt mit den Kunden macht mir viel Spaß und ich arbeite selbstbestimmter als früher“, sagt sie. Hinzu kommt eine gewisse Zufriedenheit mit dem Bestehenden, wie die Buchhändlerin lächelnd erklärt: „Ich muss mich nicht mehr vergrößern oder den Umsatz zweistellig steigern. Mein Anspruch ist es, den Job gut zu machen und das möglichst noch ein paar Jahre bis zur Rente.“
In Deutschland steigt die Zahl der älteren Menschen, die sich selbstständig machen. Schon heute ist der Durchschnittsgründer um die 40 Jahre alt, jeder zehnte sogar über 55 – Tendenz steigend. Eine Studie des Eschborner Forschungszentrums RKW zeigt: Ältere GründerInnen sind sogar erfolgreicher und gehen seltener Pleite. Grund für den Boom sind aber nicht nur die aktiveren Älteren selbst, sondern auch die Hilflosigkeit der Arbeitsvermittler – wie ein Blick auf die Statistik verrät: Jeder dritte Arbeitslose in Deutschland ist älter als 50 Jahre. Ihre Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind schlecht. Entgegen dem allgemeinen Trend steigt ihre Zahl kontinuierlich. Noch schlimmer: Nur 16 Prozent der im vergangenen Jahr vermittelten Arbeitslosen über 50 konnten ihren Job länger als ein Jahr behalten.
Aber: Es gibt auch Firmen, die das Potenzial älterer MitarbeiterInnenn gezielt suchen, zum Beispiel die Ing-Diba. Seit 2006 bildet die Direktbank Menschen jenseits der 50 zu BankassistentInnen mit Schwerpunkt Immobilienfinanzierung oder Kundendialog aus. Ein Jahr dauert die Ausbildung, am Ende steht ein IHK-Abschluss. Das Interesse ist groß. Auf die elf Stellen im aktuellen Jahrgang gab es über 150 BewerberInnen.
Genommen wurde auch Rüdiger Gaßmann aus Hannover. Der gelernter Verlagskaufmann war zuletzt Anzeigenchef bei einem kleinen Verlag. „Als ich auf die Anzeige der Ing-Diba stieß, war ich schon auf der Suche nach Alternativen. Die Aufgabe klang reizvoll“, erklärt er. Jetzt drückt er erstmals nach fast 30 Jahren wieder die Schulbank. Von montags bis donnerstags berät er in der Bank Kunden, freitags ist Berufsschule.
Hinzu kommen interne Schulungen im Vertrieb oder im Anlegen von Konten. „Das Verkaufen habe ich sicherlich nicht verlernt. Nur das Thema Baufinanzierung war für mich am Anfang etwas abstrakt“, sagt er. Wie alle Azubis genießt Gaßmann eine gewisse Schonfrist, auch wenn die meisten KollegInnen in seinem Team deutlich jünger sind. Die Ing-Diba hat gute Erfahrungen mit den „Senior-Azubis“ gemacht. „Die Balance zwischen Alt und Jung ist gut fürs Betriebsklima. Außerdem ist es hilfreich, wenn ältere Kunden auch gleichaltrige Ansprechpartner haben“, sagt Pressesprecher Alexander Baumgart.
Entgegen aller Klischees vom „alten Eisen“ ist die Lernbereitschaft der älteren MitarbeiterInnen genauso hoch wie ihr Durchhaltevermögen. Auch Gaßmann ist gut dabei. „Ich will die Abschlussprüfung bestehen und mich danach weiter im Unternehmen einbringen. Vielleicht gibt es noch die Möglichkeiten zur Weiterbildung“, sagt er. 15 Jahre sind schließlich noch genug Zeit für eine Karriere, auch wenn es bereits die zweite ist.