Berliner Platte: Märkisch Cotton and Roots
Einen Titel hat Lisa Bassenge zweifellos sicher: den der meistbeschäftigten Jazz-Sängerin Berlins. Neben dem nach ihr benannten Trio stellte sie ihre Stimmbänder bereits Projekten wie Micatone, Nylon und re:jazz zur Verfügung. Nun hat sie ihr Debüt als Alleinverantwortliche aufgenommen: Auf „A Little Loving“ wird sie unterstützt von Gitarrist Kai Brückner, Christoph Adams am Piano, Schlagzeuger Andi Haberl und dem im Zusammenhang mit Bassenge unvermeidlichen Paul Kleber am Bass. Nun werden der Schlagzeugbesen gerührt, Basssaiten traumverloren gezupft und die Klaviertasten hochvorsichtig getätschelt. Immerzu scheint die Band auf der Suche nach dem Moment, in dem die Unterkühlung der Reduktion in die heimelige Wärme eines Kaminfeuerprasselns umschlägt, während Bassenge souverän ihr Stimmspektrum abschreitet, ohne ihre zweifellos vorhandenen Fähigkeiten penetrant in den Vordergrund zu rücken. Dieses Verfahren wird auf vollkommen unterschiedliche Songs appliziert und funktioniert beim Teenie-Hit „Overload“ von den Sugarbabes ebenso gut wie bei „In Between Days“ von The Cure, Hildegard Knefs „Ohne dich“ oder den beiden Eigenkompositionen. Das Ergebnis ist wohltemperiert, atmosphärisch dicht, akademisch abgesichert und hört sich immer so an, als würde im Märkischen plötzlich die Baumwolle hoch stehen und die Fischlein hüpfen. Wogegen ja auch gar nichts zu sagen wäre, nur mitunter nimmt das Handwerk überhand, überwältigt das Akademische die Musik, dass „A Little Loving“ droht zur allzu gefälligen Soundtapete zu verkommen.
Wo Bassenges Wurzeln liegen, das kann man hören auf „It’s Alright With Me“. Es ist eine Wiederveröffentlichung des legendären, einzigen Jazz-Albums von Inge Brandenburg. Die gebürtige Leipzigerin begann zu singen in einem Augsburger GI-Club und wurde später verglichen mit Ella Fitzgerald. 1957 wird ihr beim Festival im südfranzösischen Juan-les-Pins der Titel als „beste europäische Jazzsängerin“ verliehen. Die deutschen Kritiker lagen ihr zu Füßen, aber die Zeiten änderten sich. Der Rock’n’Roll befördert den Jazz ins Abseits und ihre Plattenfirma befand, dass im Nachkriegsdeutschland mit einer deutschen Jazzsängerin kein Geld mehr zu verdienen war, und ließ Brandenburg stattdessen Schlager trällern. Mit so mäßigem Erfolg, dass sie sich zurückzog und später ihre karge Rente damit aufbessern musste, die Hunde der Nachbarn Gassi zu führen. Als sie 1999 mit 70 Jahren stirbt, besuchen sieben Menschen ihre Beerdigung. Aufgenommen wurde „It’s Alright With Me“ 1965 in den Grunewald-Studios: Wahrscheinlich war Brandenburgs Stimme nie wieder so voluminös, vor allem aber niemals ihr Umgang mit den schon damals abgegriffenen Jazz-Klischees so stilsicher. Selbst Scat-Gesang und ellenlange Improvisationen geraten ihr nicht zur Routine, weil sie immer eine Spur Blues in die Stimme legen kann. Das belebt sogar ausgeleierte Klassiker wie „Round Midnight“ und „Summertime“ – damals durfte Gershwin natürlich nicht fehlen. THOMAS WINKLER
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