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Kirche pumpt Rentner an

Evangelische Kirche Westfalen plant Kirchenbeitrag für Rentner. „Da geht der letzte Cent Lebensfreude drauf“, mahnen Seniorenverbände. Kircheninterner Streit um Einsparungen

VON MATTHIAS HENDORF

Die evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) will neue Geldquellen anzapfen. Jüngste Opfer der innovativen protestantischen Finanzpolitik sind die Rentner. Obwohl die Kirche 500 Pfarrer mehr beschäftigt als nötig (taz berichtete), soll zuerst der Sparstrumpf der Senioren geleert werden.

Die EKvW verkündete die geplante Einführung eines „Kirchenbeitrags der Bezieher von Alterseinkünften“. Konkret bedeutet das: Rentner, die keine Lohn- und Einkommenssteuer bezahlen, sollen 0,5 Prozent ihres Einkommens der westfälischen Kirche zu Gute kommen lassen. Die Untergrenze liegt bei einem Verdienst von 650 Euro pro Monat; wer weniger zur Verfügung hat, ist von der Zahlung befreit. Der Höchstbetrag wäre acht Euro bei einem Einkommen von 1.500 Euro und mehr. „Wir wollen die finanziellen Lasten auf mehr Schultern verteilen“, erklärt Andreas Duderstedt, Sprecher der westfälischen Kirche.

Wenn die Synode, das höchste Leitgremium der EKvW, den Entwurf im November absegnet, könnten also weitere Belastungen auf die Senioren zukommen. Angelegt ist der Beitrag auf verbindlicher Basis. Doch bei Nichtzahlung will die Landeskirche keine Zwangsmittel zur Durchsetzung ergreifen – ein Schlupfloch für Zahlungsunwillige.

Seniorenverbände begegnen der religiösen Geldbeschaffungsmaßnahme trotzdem skeptisch. „Ich stehe dem sehr negativ gegenüber“, sagt Egon Backes, stellvertretender Vorsitzender der Landesseniorenvertretung NRW. „Da geht der letzte Cent Lebensfreude drauf.“ Es fehle dann das Geld für den Becher Kaffee oder das Glas Bier im Alltag. Zudem prangert Backes das geplante Verfahren an. Jeder in Frage kommende Rentner soll von der Kirche angeschrieben werden. „So kann man einen Menschen moralisch in eine Ecke drängen, um ihn zu etwas zu verpflichten.“ Er plädiert dafür, die potentiellen Zahlmeister sorgsamer auszuwählen, weil manche Menschen spendabler seien, als sie es sich eigentlich leisten könnten.

Bleibt die Frage: Kann die Kirche nicht in den eigenen vier Wänden den Rotstift ansetzen, bevor sie das Sparschwein der Ruheständler räumt? So beschäftigt die Landeskirche Westfalen 2.100 Pfarrer, obwohl sie eigentlich nur noch 1.600 Geistliche benötigt. Sagt zumindest Hans Werner Ludwig, Jugendreferent des Kirchenkreises Hattingen-Witten.

Doch die Kirche will keine Pfarrer entlassen, worüber sich selbst innerhalb der Kirche Unmut regt. „Die Kirchenleitung entlässt keine Pfarrer, aber Finanzierungsmodelle wie der Kirchenbeitrag für Rentner werden vorangetrieben“, beklagt Ludwig. „Das ist widersprüchlich.“ Grundsätzlich sieht er den Kirchenbeitrag für Rentner positiv, aber das Sparpotenzial der Kirche selbst, wie bei den Pfarrern, sei enorm.

Die EKvW sieht das anders. „Pfarrer haben einen beamtenähnlichen Status und können nicht einfach so gekündigt werden“, sagt Duderstedt. Zudem sei den Pfarrern das Gehalt schon um bis zu 15 Prozent gekürzt worden. „Das Weihnachtsgeld wurde auch gestrichen.“ Und das sei noch nicht das Ende. Duderstedt verweist darauf, dass die neuen Finanzierungsmodelle parallel zu den Sparmaßnahmen laufen werden.

Sparen war für die Kirche aber lange Zeit ein Fremdwort. „Bisher fiel die Kirchensteuer immer vom Himmel und hat ausgereicht. Das war ein Luxus, der die Kirche träge gemacht hat“, sagt Jugendreferent Ludwig. Jetzt muss die Kirche neue Wege beschreiten und sucht nach finanzstarken Oldies. Dabei scheint ihr kein Portemonnaie heilig.

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