: „Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie“
CASTING Als Veteranen des Reality-TV haben die Birkhahns die Grilldiät gemacht und die „Super Nanny“ eingeladen. Mutter Natascha über ihre Erfahrungen mit dem Privatfernsehen
■ geboren 1972 in Neumünster, arbeitet nach einer Ausbildung zur Bürogehilfin seit 2006 als Sekretärin in der Trave-Schule in Bad Segeberg. 2007 meldete sie sich zusammen mit ihrem Mann Peter, einem Altenpfleger, und den drei Kindern bei der Berliner Agentur 030-Casting an und bekam kurz darauf ihren ersten TV-Auftritt in „Punkt 12“ bei RTL. Es folgten die Sendungen „Deutschland, deine Dicken“, „Die Super Nanny“ und „We are Family!“.
INTERVIEW ILKA WAETZOLDT UND SIMON PLEIKIES
taz: Frau Birkhahn, erinnern Sie sich an den ersten Fernsehauftritt Ihrer Familie?
Natascha Birkhahn: Zum ersten Mal standen wir für die RTL-Sendung „Punkt 12“ vor der Kamera. Wir stellten eine Familie dar, die wenig Geld hat und ungesund isst. Ich hatte uns vorher bei einer Castingagentur angemeldet, weil ich mal wissen wollte, wie es beim Fernsehen zugeht. Es begann damit, dass wir zum Einkaufen fahren sollten – zu fünft in unserem alten Opel Corsa. Das haben wir aber nicht mit uns machen lassen. Wir haben durchgesetzt, dass wir unseren großen Wagen nehmen konnten, einen Kombi.
Letztendlich wurden Sie dann aber nur in diesem Supermarkt gezeigt, wie Sie kiloweise Fastfood in den Einkaufswagen luden. Fühlten Sie sich richtig dargestellt?
Nein. Bei diesem Discounter waren wir vorher noch nie gewesen. Das hatte mit der Realität unseres alltäglichen Lebens nicht mehr viel zu tun. Wir essen zwar teilweise so, wie es dargestellt wurde, aber vieles war auch stark überspitzt: Mein Mann musste beispielsweise so tun, als würde er zum Abendbrot nur Riesenportionen Eis mit Schlagsahne essen, während ich dauernd Salzstangen knabberte. So etwas würden wir heute nicht mehr machen.
Haben Sie sich geärgert, als Sie den Beitrag sahen?
Nein, das nicht. Wir wurden ja nicht schlecht dargestellt. Das Thema der Sendung stand eben im Mittelpunkt, das muss auch so sein.
Nach diesem Fernsehauftritt haben Sie sich dafür entschieden, in weiteren Sendungen aufzutreten. Warum?
Das ergab sich dann einfach so. Am Strand wurden wir zufällig von einem Fernsehteam angesprochen. Es ging um ein Gesetz, das möglicherweise bald etwas fülligeren Menschen verbieten könnte, sich in der Öffentlichkeit in knappen Badesachen zu zeigen. Wir fanden das interessant und haben mitgemacht. Und nachdem mein Mann bei der Super Nanny angefragt hatte, weil er Hilfe von ihr wollte, interessierte sich plötzlich auch ProSieben für uns.
Wonach wählen die Sender die Familien aus?
Meistens ist es wichtig, dass man mindestens zwei Kinder hat, die auch nicht mehr zu klein sind. Außerdem muss die Wohnung groß genug sein, damit die Teams mit den Kameras gut arbeiten können. Eine wichtige Rolle hat auch immer das Essen gespielt, Mahlzeiten kamen in allen Sendungen vor – keine Ahnung, warum das so ist.
Warum, meinen Sie, sind Reality-Shows so erfolgreich?
Die meisten Leute interessieren sich dafür, wie es in anderen Familien so zugeht, die wollen mal sehen, wie es bei den anderen im Wohnzimmer aussieht und was dort so auf den Tisch kommt. Und wenn sie dann feststellen, dass es dort noch schlimmer ist als in ihren eigenen vier Wänden, dann sind sie beruhigt. Eine Sendung wird doch erst durch die Reibungspunkte in den Familien interessant. Normale Umstände haben die Zuschauer schließlich auch bei sich zu Hause.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Ihre Auftritte im Fernsehen anschauen?
Ach, man sieht sich dann eben und denkt vielleicht: „Das war ganz gut so“ oder „Da hättest du etwas anderes anziehen können“. Es ist ein bisschen so, wie wenn wir Urlaubsvideos anschauen würden.
Aber auf diesen „Urlaubsvideos“ ist zu sehen, wie Sie sich während einer Grilldiät vier Wochen lang von Fleisch ernähren, mit 15 Euro täglich Ihre fünfköpfige Familie satt bekommen müssen und wie selbst die Super Nanny Ihnen nicht weiterhelfen kann.
So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie. Die einzelnen Sendungen haben eben immer auch einen Schwerpunkt, auf den sie sich konzentrieren müssen. Bei der Grilldiät ging es darum, möglichst viel Fleisch zu essen, um zu sehen, ob man dadurch abnimmt. Natürlich haben wir nicht vier Wochen am Stück jeden Tag gegrillt. Aber Sie haben recht, was die Super Nanny angeht: Die konnte uns wirklich nicht weiterhelfen.
Welche Hilfe haben Sie sich denn von Katharina Saalfrank versprochen?
Ich hatte gehofft, ein paar Tipps zu bekommen, wie wir unseren Umgang miteinander verbessern können. Außerdem wollte ich die Beziehung zwischen meinem Mann Peter und meinem ältesten Sohn Nils-Daniel einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Peter ist nicht der leibliche Vater von Nils-Daniel, und da gab es in der Vergangenheit schon einige Spannungen. Jetzt im Nachhinein wissen wir aber, dass man solche tiefer liegenden Probleme nicht so einfach in ein paar Tagen im Fernsehen lösen kann. Große Illusionen habe ich mir allerdings auch vorher nicht gemacht.
Woran hakte es, als Saalfrank bei Ihnen war?
Ich muss vorausschicken, dass mein Mann und ich beide berufstätig sind und dadurch möglicherweise auch in einer Lebenssituation, die uns von den meisten unterscheidet, die in dieser Sendung sonst mitmachen. Dazu gehört, dass wir unseren eigenen Kopf haben und nicht zu allem Ja und Amen sagen, so wie die Super Nanny das vielleicht erwartet. Es mag ja sein, dass Frau Saalfrank anderen Familien helfen kann, aber bei uns war das nicht der Fall. Stattdessen mussten sich eher alle um sie kümmern, weil sie erkältet war: hier noch ein Teechen kochen, da noch ein bisschen Honig holen. Sie ist schon sehr von sich eingenommen und hat Starallüren. Und die Art, mit der versucht wird, Familienbeziehungen in der Sendung darzustellen, ist wirklich bescheuert: Wir sollten im Garten gemeinsam Bälle in einem Tuch jonglieren – so ein Quatsch. Das habe ich ihr auch ganz klar gesagt, nur sieht man das natürlich nicht, weil diese Stelle herausgeschnitten wurde. Aber ich hatte sowieso den Eindruck, dass Frau Saalfrank vor allem die Präsentation vor der Kamera macht, während die wirkliche Arbeit eine richtige Psychologin im Hintergrund leistet, die sich auch nach der Sendung noch eine gewisse Zeit um die Familien kümmert.
Trotzdem sah man in der Sendung, wie Sie gemütlich mit Frau Saalfrank auf einer Bank im Grünen saßen, während die Sprecherstimme von Missbräuchen in Ihrer Kindheit erzählte. Gibt es denn noch etwas, das Sie der Öffentlichkeit nicht erzählen würden?
Ich habe Frau Saalfrank gegenüber sehr private Sachen nur angedeutet. Was genau in meiner Kindheit passiert ist, will ich nicht öffentlich breittreten. Es wurde auch nicht weiter gebohrt und nachgehakt. Wenn ich diese Vorfälle in meiner Kindheit aufarbeiten wollte, dann würde ich zu einem richtigen Psychologen gehen und nicht ins Fernsehen.
Der Sächsischen Zeitung sagten Sie aber: „Wenn man ohne Kameras zum Psychologen geht, verstellt man sich doch.“
Damit meinte ich etwas anderes. Ich habe in meiner Jugend Erfahrungen mit Psychologen gemacht und nie preisgeben können, was mich wirklich bedrückt. Stattdessen habe ich einfach gesagt, was man von mir hören wollte, und hatte dann meine Ruhe. Heute weiß ich es aber besser.
Heute sagen Sie den Fernsehteams, was die hören wollen?
Ganz bestimmt nicht. Die Fernsehteams konzentrieren sich sowieso vor allem auf die Dinge, die für den Beitrag wichtig sind. Das muss natürlich auch so sein. Manchmal wird auch schon vorher besprochen, was man wann und wie sagen oder einbringen könnte. Allerdings habe ich nie erlebt, dass es so eine Art Drehbuch gab, nach dem wir uns richten sollten. Wie wir vor der Kamera antworten und was wir von uns zeigen, ist immer unsere eigene freie Entscheidung.
Haben Sie auch schon mal echte Hilfe durch die Teilnahme an einer Reality-Show erhalten?
Ja, bei „We are Family!“ auf ProSieben. Was die machen, hat Hand und Fuß, und man bekommt dort gute Tipps. Wir hatten mit dem Filmteam wirklich eine tolle Zeit, haben gemeinsam gegessen, und alles war so richtig familiär und harmonisch. Mit denen haben wir bis heute noch sporadischen Kontakt über das Internet. Natürlich spielen auch die Aufwandsentschädigungen eine Rolle. Umsonst würden wir das alles nicht machen. Man ist dann doch recht erstaunt darüber, was der Besuch der Super Nanny so einbringen kann.
Von welchen Zahlen sprechen wir da?
Genaue Zahlen darf man nicht nennen. Vor den Dreharbeiten unterschreibt man einen mehrseitigen Vertrag, in dem man sich verpflichtet, keine Auskünfte zu geben, und in dem man auch bestätigt, dass man für seine Kinder sorgeberechtigt und mit dem Abdrucken von Fotos in irgendwelchen Zeitschriften einverstanden ist. Sagen wir es so: Von unseren Fernsehauftritten 2008 konnten wir uns immerhin einen Türkeiurlaub für die ganze Familie leisten.
Gibt es Sendungen, bei denen Sie nicht mitmachen würden?
Die gibt es. Wir hatten zum Beispiel eine Anfrage für „Frauentausch“ auf RTL2. Dafür hätte es 1.000 Euro gegeben. Selbst für 10.000 Euro hätten wir da nicht mitgemacht. Wer weiß, in was für eine Familie man da gerät. Solche Sachen, die zu sehr in die Tiefe gehen, solche Psychosendungen, würde ich nie machen.
Haben Sie es je bereut, das Fernsehen zu sich eingeladen zu haben?
Ja. Wenn wir die Uhr zurückdrehen könnten, würden wir bei vielen Sendungen nicht mehr mitmachen. Wir sind nicht so, wie wir im Fernsehen dargestellt wurden.
Planen Sie schon den nächsten Fernsehauftritt?
Reality-Shows müssen nicht mehr sein. Da gibt es nichts mehr, was mich interessieren könnte. „Mitten im Leben“, „Familien im Brennpunkt“ – das ist doch alles das Gleiche und einfach nur krass und schrecklich. Es gibt aber schon noch Sendungen, die mich interessieren. Zum Beispiel wohnt hier in einem Nachbarort ein Postbote, der in vielen Gerichtsshows Zuhälter oder andere Fieslinge spielt. Das ist sehr interessant. Und ein netter Zuverdienst ist es auch.
■ Dieses Interview ist ein für die taz bearbeiteter Vorabdruck aus dem von Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke (Hrsg.) gemeinsam mit Studierenden der Uni Tübingen verfassten Buch „Die Casting-Gesellschaft“. Es ist soeben im Herbert von Halem Verlag (Köln) erschienen und kostet 18 Euro. www.casting-gesellschaft.de
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