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„Wir brauchen jetzt Neutralisierer“

INTERNET Sandro Gaycken, einer der wichtigsten Kritiker des Hypes um das Netz, über die Naivität der Netzgemeinde, Edward Snowden und den fehlenden Aufruhr um die NSA-Enthüllungen

Sandro Gaycken

■ wurde 1973 in Köln geboren, ist ein Technikphilosoph und Sicherheitsforscher, der einst zum Chaos Computer Club (in Hamburg) gehörte.

■ Aktuell arbeitet er zum Thema Cyberwarfare am Institute of Computer Science der FU Berlin.

■ 2013 erschien sein Buch: „Jenseits von 1984. Datenschutz und Überwachung in der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Eine Versachlichung“ (Transcript).

■ Er zählt zu den schärfsten Kritikern der Romantisierung des Internets – und steht Analysten wieEvgeny Morozov, Politikwissenschaftler an der Stanford, Kalifornien, und seiner Technik- und Machtkritik am Internet nahe. (jaf)

INTERVIEW MANUEL SCHUBERT UND JAN FEDDERSEN

taz.lab: Wir diskutieren nun seit einem halben Jahr, als Edward Snowden die globale Überwachung durch die NSA publik machte, das Thema Internet und Sicherheit. Trotz der Prominenz des Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele ist mehr als ein Unbehagen in der Öffentlichkeit nicht zu spüren. Woran liegt das?

Sandro Gaycken: Der öffentliche Druck fehlt. Die Parteien haben untersucht, wie sehr die Bürger überhaupt von diesen Netzthemen umgetrieben werden. Heraus kam, dass es einen starken Dissens gibt zwischen der Presse und wie sie das Thema reflektiert, und der Betroffenheit des einzelnen Bürgers. Die machen sich doch mehr Sorgen um die Rente.

Die NSA-Geschichte …

… da fehlte die Unmittelbarkeit und die Überraschung, denn jeder hat es irgendwie erwartet. Es gab zwar Aufrufe von Autoren und Sascha Lobo, der rumweinte, nun sei „das Internet kaputt“. Aber das sind Sachen, die von der Durchschnittsöffentlichkeit als wenig relevant wahrgenommen werden. Zumindest nicht so relevant, dass man Unbequemlichkeiten dafür in Kauf nehmen würde, wie das Beispiel WhatsApp versus Threema gezeigt hat.

Und in der Wirtschaft?

In den Betrieben und Konzernen bewegen sich jetzt wirklich Dinge. Die haben das Thema über lange Jahre gemieden. Doch der NSA-Skandal hat bei denen wesentlich intensiver eingeschlagen als irgendwo sonst. Die Wirtschaft macht sich wirklich substanziell Sorgen um ihre Forschungs- und Entwicklungsergebnisse. Weniger weil sie die USA fürchten, sondern weil sie das Bedrohungspotenzial erkannt haben.

Sie haben öffentlich mehrfach angeregt, in Sachen Internet müsse alles neu gemacht werden – alles zurück zum Anfang. Wie könnte das aussehen?

Ich selbst hatte verschiedene Ansätze zu Hochsicherheits-IT vorgeschlagen, das passt aber noch nicht so gut zu den Fähigkeiten und Interessen des IT-Mittelstands und der Behörden. Da bastelt nach wie vor jeder so vor sich hin. Dieses Gebastel ist aber ein strategisches Problem. Das passt zu 80 Prozent nicht zur Problemlage, aber wir müssen das als Basis akzeptieren. Das ist der Moment, wo Gesellschaft und Politik aktiv werden müssen: Welche Technologien werden gebraucht, welche Innovationsprozesse müssen angeregt werden?

Stellt Sie der aktuelle Koalitionsvertrag zufrieden?

Nein. Es gab eigentlich eine umfangreiche digitale Agenda. Leider stellt sich jetzt heraus, dass die verfügbaren Gelder die gleichen geblieben sind. Mehr Aufgaben – etwa im Hinblick auf Datenschutz und Sicherheit – müssen de facto mit weniger Geld bewältigt werden.

Deutschland könnte in diesen Fragen Avantgarde werden, schrieben Sie neulich.

Absolut. Einerseits besteht uns gegenüber ein gewisses Vertrauen in der Welt, da unser BND eher zurückhaltend agiert – verglichen mit NSA und anderen Diensten. Und wir verfügen über große Kenntnis des Maschinenbaus für alle Bereiche. Dies verschafft uns einen Vorsprung, um die nächste IT-Revolution der Informatisierung des Maschinenbaus mitzugestalten. Zudem hilft uns unser Credo der sauberen Entwicklung guter Produkte.

„Made in Germany“ zukünftig als Siegel für gute IT?

Ganz genau. Die Vorteile dessen liegen auf der Hand. Wir könnten signifikant mehr Geld verdienen und wieder neue Industrie ansiedeln. Viel interessanter wäre jedoch, die deutschen Visionen von Datenschutz, Internetfreiheit und Datensicherheit exportieren zu können. Aus einer politischen und ethischen Perspektive wäre das sehr hilfreich. Wir liefern die Produkte und setzen die technischen Standards gegen Überwachung, Zensur und Spionage. Damit es stabil, frei und demokratisch bleibt.

Überwachung überall

■ „Zu den Waffen: Der digitale Kampf gegen Überwachung“ heißt die vierteilige taz.lab-Veranstaltungsreihe zur Massenüberwachung. Im Gespräch mit Hackern, NetzaktivistInnen, PolitikerInnen und Investigativjournalisten wird die Gefährdung von Grundrechten durch Geheimdienste beleuchtet: Wie schützt man sich? Welche politischen Konsequenzen sind in der EU zu ziehen? Welche Perspektiven des zivilen Ungehorsams und des digitalen Widerstands gibt es, um gegen Überwacher nicht nur Abwehr-, sondern auch Angriffskämpfe führen zu können? Zu Gast sind u.a. Wikileaks-Anwältin Sarah Harrison, Jan Philipp Albrecht, Markus Beckedahl, die !Mediengruppe Bitnik, Anke Domscheit-Berg, Hauke Gierow, John Goetz, Constanze Kurz, Sebastian Mondial, Andy Müller-Maguhn, Julia Reda, Anne Roth, Hans-Christian Ströbele, Andre Wilkens und Marina Weisband. Durch das Programm führen Michael Sontheimer und Martin Kaul.

Die Woodstock-Phase des ganzen Internet-Hypes – und mit diesem die Hippies, die das Silicon Valley schufen – scheint endgültig vorbei?

Ja. Und ich hoffe auch, dass die sogenannte Netzgemeinde endlich an den Rand gedrängt wird und sich nicht mehr so intensiv an den Debatten beteiligen darf. Blattmacher wie Frank Schirrmacher freut es natürlich, wenn es Sascha Lobo oder halbstarke Informatiker in der FAZ knallen lassen. Doch die haben einfach versagt. Sie verkörpern genau jene Ingenieursperspektive, die technisch zwar total fit ist, die man aber politisch und wirtschaftlich nicht gebrauchen kann. Wir müssen diese Diskussion auf solide Füße stellen.

Wie?

Bessere und unabhängige Wissenschaft und bessere Politik: Wir müssten uns stärker um eine interdisziplinäre IT-Forschung bemühen, wie beispielsweise in den USA. Wo die Leute den IT-Bereich viel stärker als Querschnittsthema denken. Und wir brauchen eine Politik, die fähig ist, die Sache in größeren Zusammenhängen zu betrachten, und sich nicht von den Ingenieuren und Lobbyisten den nächstbesten Kram aufschwatzen lässt.

Also Hacker in die Parlamente?

Bloß nicht, die sind zu naiv und folgen immer ihrer eigenen Agenda. Wir brauchen Unabhängige, Neutralisierer, die ohne feste Absichten, ohne etwas verkaufen zu wollen, da reingehen. Die das einfach mal erklären und tiefenpolitisch wie wirtschaftlich kontextualisieren.

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