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Ungeschützt in den Klimawandel

Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre steigt stärker denn je. Trotzdem fehlen Strategien gegen die Folgen des Klimawandels, bemängeln Wissenschaftler. Die Politik müsse handeln – zum Beispiel weitere Bebauung der Küsten verhindern

VON CHRISTIAN HONNENS UND NICK REIMER

Alle wissen über den Klimawandel Bescheid, aber kaum einer macht sich Gedanken über die Folgen. Die Vorsitzende des Britischen Rates für Wirtschafts- und Sozialforschung, Frances Cairncross, forderte daher nun auf einem Wissenschaftskongress in Norwich die Politik dringend zum Handeln auf. Notwendig seien ein besserer Schutz vor Überschwemmungen und nicht zuletzt das Verbot, Häuser in Küstennähe zu bauen. Auch die Landwirtschaft müsse sich mit neuen Sorten auf die veränderten Bedingungen umstellen. „Wir müssen uns bewusst machen, dass wir in einer wärmeren Welt leben werden“, sagte Cairncross gegenüber den BBC-Nachrichten.

Die Warnungen haben einen aktuellen Anlass: Sie basieren auf den Erkenntnissen aus neuen Bohrungen in der Antarktis. Diese zeigen, dass die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre in den vergangenen 800.000 Jahren maximal um 30 Teile pro 1 Million Teile (ppm) schwankte – und zwar jeweils über einen Zeitraum von 1.000 Jahren. Eine solche Zunahme ist nun aber in nur 17 Jahren aufgetreten. „Das ist ohne jeden Vergleich in unseren Messungen“, beschreibt Eric Wolff vom British Antarctic Survey den einmaligen Klimawandel in der Neuzeit.

Und der wird weiter stark gefüttert. Das illustrierte gestern auch der konservative Umweltpolitiker Lutz Wicke: „Jetzt ist völlig klar, dass die Welt mit den Mechanismen des Kioto-Protokolls zum Klimaschutz nicht zu retten ist.“ Der ehemalige Umwelt-Staatssekretär zitierte bislang unveröffentlichte Zahlen der Internationalen Energieorganisation (IAEO). „Seit 2004 werden nach IAEO-Erhebungen jedes Jahr 1 Milliarde Tonnen Klimagas zusätzlich ausgestoßen“, so Wicke bei der Vorstellung seines Buches (siehe unten). Die Emissionen wachsen damit doppelt so schnell wie noch Ende der Neunzigerjahre – trotz Kioto.

Die der Panikmache unverdächtige IAEO hat zudem eine Prognose angestellt. Danach wird bis 2050 der jährliche Kohlendioxid-Ausstoß um 195 Prozent ansteigen – obwohl das Kioto-Protokoll eigentlich minus 60 Prozent zum Ziel hat. „Die Konzentration wird dann bei 750 ppm liegen. Um die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, dürften laut EU-Experten aber 450 ppm nicht überschritten werden“, so Wicke.

Daher ist es auch in Deutschland höchste Zeit, sich gegen die Folgen der Erderwärmung zu wappnen. „Aber es werden viel zu selten die Konsequenzen angesprochen, und das ist ein echtes Problem“, sagt Geologe Kai Ahrend vom Kieler Forschungsbüro Umwelt und Küste. Denn nicht nur die Nordseeinsel Sylt müsse schon heute durch künstlich aufgehäuften Sand geschützt werden. Auch an der Ostsee-Steilküste in Sierksdorf bei Lübeck sind die Häuser inzwischen bedroht. Die Gefahrenabwehr ist teuer, schon heute. 47 Millionen Euro gab das Land Schleswig-Holstein 2005 für den Küstenschutz aus.

Neben den Steilküsten sind auch die Deiche betroffen, wenn auch erst in etwa 20 Jahren. „Aber wer nun ein Haus baut, will, dass es länger hält“, erklärt Ahrend die Relevanz langfristiger Strategien. Schließlich werde es schon heute immer schwieriger, niedrige Gebiete hinter dem Deich dauerhaft trocken zu halten – mit einschneidenden Folgen Siedlungen und Landwirtschaft.

Sogar den Landwirten tief im Binnenland drohen ernste Klimafolgen. Prognosen des Potsdamer Instituts für Klimaforschung sagen für Brandenburg stärkere Trockenheit voraus. Und das, obwohl die Landwirte schon heute unter den hohen Dürreschäden ächzen.

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