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Der Vermittler

Probleme mit qualifiziertem Nachwuchs haben viele deutschtürkische Unternehmer. Einer der erfolgreichsten unter ihnen nimmt die Ausbildung nun in die Hand

AUS MÜNCHEN THOMAS PAMPUCH

Der ehemalige Rieger-Pelze-Block am Isartor liegt mitten in der Münchner Innenstadt, ein akzeptiertes Zentrum ist der lichtdurchflutete Glasbau jedoch nur einmal im Jahr: wenn im Maxx-Kinocenter das Münchner Filmfest stattfindet. Den Rest des Jahres ist hier kaum Betrieb.

Bülent Tulay hat vom seinem Büro aus einen schönen Blick auf den Riegerblock. Der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Wirtschaftsvereinigung (DTW) sinniert darüber, was man aus dieser Planungsruine alles machen könnte. Kaffee serviert Dr. Edgar Foster, sein Kompagnon, was Tulay scherzen lässt, er wünsche jedem deutschen Diplom-Ingeneur oder Doktor einen türkischen Chef.

Tulay fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. Der überzeugte Münchner kam vor fast 30 Jahren aus Izmir nach Deutschland, um Jura zu studieren. In 20 Berufsjahren hat er sich zu einem der erfolgreichsten deutschtürkischen Unternehmer in Bayern entwickelt. Tulay macht Werbung, hat eine Beratungs- und eine Personaldienstleistungsfirma und beteiligt sich am Bau eines Windenergieparks in der Osttürkei. Außerdem ist er Verleger und Inhaber eines Callcenters in Istanbul. Vor ein paar Jahren erfand Tulay das „Ethno-Marketing“, heute nennt er es aber lieber „interkulturelles Marketing“. Das heißt, er hilft deutschen Firmen an die Deutschtürken heranzukommen – und zunehmend auch umgekehrt. Diese „Lokalisierung“ braucht „Kommunikatoren“, die beide Seiten kennen, sagt er: In seiner Werbefirma sind alle 15 Mitarbeiter zweisprachig und schneidern dort Kampagnen nach türkischem Maß. Zu den Kunden gehören inzwischen die Telekom, BMW und auch die Biomarke Rapunzel.

Tulay packt gern an. Er ist ein deutscher Türke jenseits des Klischees, der dennoch nichts gegen Klischees hat, solange man sie richtig formt und benutzt: ein Werber mit Visionen. Aus dem Riegerblock würde er zum Beispiel am liebsten eine „Piazza alla turca“ machen: mit guten Restaurants, Boutiquen und gehobener türkisch-mediterraner Marktkultur. Wie die Italiener sollten auch die Türken allmählich ihr Image verfeinern. So wie neben Pizzabuden gute Restaurants, Feinkostläden und Boutiquen entstanden seien, könne man auch den Döner veredeln und „toskanisieren“. Türken seien eben nicht nur gute Gemüsehändler und Imbisswirte.

60.000 Gewerbe in Deutschland mit 300.000 Beschäftigten sind in türkischer Hand. Allein 30.000 Betriebe hat Tulay in seiner Datenbank gespeichert. Sie hilft auch seiner DTW, mit der er sowohl die Wirtschaft der Deutschtürken als auch die Wirtschaftsbeziehung zwischen beiden Ländern ankurbeln will. Allein das Handelsvolumen zwischen dem Freistaat Bayern und der Türkei beläuft sich auf mehr als 2 Milliarden Euro.

Tulay setzt auf eine große Zukunft der türkischen Unternehmen in Deutschland. „Es werden immer mehr, aber sie werden immer weniger türkisch sein“, prophezeit er – vorausgesetzt, die deutschen Türken verlassen ihre Nischen und betreiben neben den 13.000 Dönerbuden zunehmend auch alle möglichen anderen Gewerbe. „Wenn wir 2020 immer noch von ‚türkischen Unternehmen‘ in Deutschland sprechen werden, stimmt entweder mit den Türken was nicht oder mit den Deutschen“, sagt er.

Als Unternehmensberater kennt er die einschlägigen Studien über die Probleme der türkischen Firmen: geringe Produktivität, schlechte Arbeitsbedingungen, wenig qualifiziertes Personal, Informationsdefizite. Inzwischen gibt es 160.000 türkischstämmige Arbeitslose in Deutschland – bei 1,9 Millionen Türken in Deutschland und 730.000 Deutschen türkischer Abstammung. Die Krise hat nach Tulays Ansicht auch einen Schub zur Selbstständigkeit gebracht, vor allem bei der zweiten Generation: „Sie können es aber nur durch Bildung schaffen. Ihre Binationalität ist dabei auch ihr Reichtum, eine Zusatzqualifikation, mit der sie ihre Lage absichern können – und das im ganzen türkischsprachigen und mittelasiatischen Raum.“ Da wird Tulay wieder zum Visionär: Internationale Geschäfte, Logistik bis in den Iran, Scharnier zwischen den Kontinenten, die Deutschtürken als Türöffner nach Asien – für „interkulturelle Kommunikatoren“ gebe es genügend Arbeit, sagt er.

Netzwerk gegen Azubi-Not

Selbstverständlich gehöre die Türkei deshalb auch in die EU. „Man hat den Deutschen zu lange vorgemacht, die Türkei sei kein europäisches Land, dabei ist sie seit Jahren extremst integriert, assoziiert und mit Europa verflochten“, meint Tulay: „Das Einzige, was fehlt, ist ihre Stimmberechtigung in den europäischen Gremien. Und wenn die Türkei die größte Fraktion im Europäischen Parlament bekommt – na und?“ Letztlich würden vom EU-Beitritt der Türkei alle Seiten profitieren. Und mit zunehmendem Wohlstand manche Deutschtürken wieder in die Türkei zurückgehen und der Ausreisedruck aus der Türkei ins alte Europa geringer werden.

Doch nicht alles ist rosig: Tulay sieht auch, dass es eine „erodierende Unterschicht“ gibt, viele davon Ausländer. Die Marginalisierung werde gerade bei den „bildungsfernen Migrantenfamilien“ immer größer. Viele Ausländerkinder hätten nicht einmal Schulabschlüsse. „Globalisierung trifft in ihren negativen Konsequenzen die Nichtqualifizierten.“ Die Zahl der deutschtürkischen Azubis gehe seit einem Jahrzehnt beständig zurück, obwohl die Gruppe der deutschtürkischen Jugendlichen wächst.

Diese Entwicklung will Tulay mit einer Initiative bekämpfen, die er am liebsten als „Münchner Modell“ bezeichnet, das hoffentlich Schule mache: ein runder Tisch, der in einem Netzwerk mit der türkischen Community, Schulen, Ministerien und Beschäftigungsbetrieben Ausbildungsplätze für arbeitslose türkische Jugendliche sucht.

Zum ersten Treffen lud Tulay Vertreter von Siemens, den Stadtwerken, den Johannitern sowie den Schulleiter einer Hauptschule in seine Agentur. Dazu kamen zwei Vertreter der deutschtürkischen Industrie. Ziel des Münchner Modells: Aufklärung der türkischen Familien, Vernetzung aller Beteiligten – auf der einen Seite Jugendliche, Elternbeiräte, türkische Vereine und türkischsprachige Presse, auf der anderen Schulen, Arbeitsämter, Arbeitgeber und Mentoren. Dazu Kampagnen und Familienarbeit. Denn: „Am wichtigsten ist es, die Familien zu erreichen und davon zu überzeugen, dass eine gute Ausbildung die beste Investition in die Zukunft der Kinder ist.“

Einen ersten Erfolg kann Tulay schon vermelden. Das Münchner Arbeitsamt hat sich bereit erklärt, eine Hotline einzurichten, und sucht dafür einen türkischsprachigen Sozialarbeiter. Die Ausbildungsplätze müssen freilich noch gefunden werden. Vielleicht entstehen sie ja demnächst auf der „Piazza alla turca“ im Münchner Riegerblock.

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