: Wilder Tanz ums Bleiberecht
Einer libanesischen Flüchtlingsfamilie droht die Abschiebung. Nur zwei der Kinder – erfolgreiche Breakdancer – dürfen bleiben. Heute Abend protestieren Künstler mit einer Tanzperformance
VON KERSTIN SPECKNER
Hassan Akkouch ist 17, hat sich als Breakdancer einen Namen gemacht und gerade den Realschulabschluss geschafft. Jetzt ist er dabei, sein Abitur zu machen. Allerdings wird er eine bestandene Prüfung wohl ohne seine Familie feiern müssen: Seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern droht die Abschiebung in den Libanon. Nur Hassan und seine Schwester Liyal erhalten „aus humanitären Gründen“ eine Aufenthaltsgenehmigung.
Dass nur die beiden Großen bleiben dürfen, begründet der Innensenator damit, dass sie nicht von Sozialleistungen leben werden: „Wir gehen davon aus, dass sie in Zukunft auf eigenen Füßen stehen können“, sagte eine Sprecherin von Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Bei der Mutter und den drei jüngeren Geschwistern lägen hingegen „keine direkten humanitären Gründe“ vor: Die jüngeren Geschwister könnten sich im Libanon einleben. Außerdem gehe man davon aus, dass die Familie von Sozialleistungen leben werde, wenn sie hier bleibt. Vor einer sofortigen Abschiebung schützt die vier ein laufendes Petitionsverfahren, so die Sprecherin.
Die Familie Akkouch lebt seit 1990 in Berlin. Seit ihr Asylverfahren abgeschlossen ist, blieben sie mit immer wieder verlängerten Duldungen. Die Familie gilt als gut integriert. Die Mutter, die als Analphabetin ins Land kam, machte den Hauptschulabschluss nach.
Die letzte Hoffnung der Akkouchs ist nun das Talent der Kinder. Drei von ihnen machen Breakdance – so gut, dass sie die Stars des Stücks „Scratch Neukölln“ der renommierten Choreografin Constanza Macras wurden. Die Älteren bekommen inzwischen Gagen für ihre Auftritte und Filmprojekte. Der Anwalt der Familie sicherte Ende August zu, die Familie werde von diesen Gagen leben und auf Sozialleistungen verzichten.
Um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, zeigen die drei Akkouchs bei einer Benefizvorführung von „Scratch Neukölln“ heute Abend ihr Breakdance-Können. Unterstützung erhalten sie von Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Er hält es für falsch, die Familie abzuschieben. „Wer schon so lange hier lebt, gehört in diese Stadt.“ Wichtig sei, dass sie Perspektiven auf einen Arbeitsplatz oder eine gute Ausbildung erhalten, so Ratzmann.
Unerwartete Unterstützung kommt auch aus dem Schattenkabinett von CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger: Nezih Ülkekul, Pflügers „Beauftragter für Migranten und Migrantinnen“, hofft, dass für die Familie eine gute Lösung gefunden wird: „Ich finde es gut, dass ein rechtskräftiges Urteil keine endgültige Entscheidung ist und es weitere Instanzen gibt.“ Er spielt damit auf Möglichkeiten wie das laufende Petitionsverfahren an. Integration, so Ülkekul, solle bei Entscheidungen über ein Bleiberecht auf jeden Fall berücksichtigt werden.
In Pflügers Team steht er mit seinem Verständnis für Flüchtlinge ziemlich allein. Pflüger erklärte jüngst, wie er mit Langzeitgeduldeten wie den Akkouchs umzugehen gedenkt: Zwar müsse man die Einzelfälle prüfen – grundsätzlich müssten aber ausreisepflichtige Ausländer das Land verlassen. Das Programm seiner Partei setzt auf Härte und sieht vor, „in Berlin eine oder mehrere Ausreiseeinrichtungen zu schaffen“.
Ülkekul hingegen findet es wichtig, dass über den Fall und die Probleme der Geduldeten gesprochen wird. Er diskutiert heute im Anschluss an die Aufführung von „Scratch Neukölln“ mit der Mutter der Familie Akkouch, dem Asylexperten Jens Dieckmann, Volker Ratzmann und Edith Kresta, taz-Redakteurin für Interkulturelles.
taz-Veranstaltung heute 19.30 Uhr im HAU 1, Stresemannstr. 29
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