: Nein zu Erwartung, Versprechen, Konvention
FOTOGRAFIE Nichts ist, wie es scheint. Die technologischen Möglichkeiten der Fotografie formen längst selbst die Wirklichkeit. Die Ausstellung „Gute Aussichten“ zeigt in den Hamburger Deichtorhallen, was junge deutsche Fotografen umtreibt
VON SABINE WEIER
Ein mit schwarzer Flüssigkeit gefüllter Glaskasten steht auf einem Sockel in den Hamburger Deichtorhallen. Was man da sieht, sieht man eigentlich gar nicht: Die Flüssigkeit ist Kaffee, und darunter verbirgt sich eine Espressomaschine, die ihn selbst produziert hat. Die Arbeit ist Teil einer Serie von Alwin Lay. „Mod. Classic“ heißt sie, der Absolvent der Kölner Kunsthochschule für Medien hat dafür die Herstellerbezeichnung der Maschine übernommen. Lay ist einer von neun Gewinnern des Wettbewerbs „Gute Aussichten“, der seit zehn Jahren Abschlussarbeiten junger Fotografen kürt und Einblicke in die Szene gibt. Aus über 100 Einreichungen deutscher Hochschulen, Fachhochschulen und Akademien hat die Jury gewählt.
Moment mal, was hat eine Espressomaschine mit Fotografie zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Na gut: Fotos gehören auch zu Lays Serie, etwa die in einem als Gebrauchsanweisung gestalteten Heft. Sie zeigen die Maschine und verschiedene Espressofüllstände im Glaskasten. Auf weiteren Fotografien tauchen Glaskasten und Sockel wieder auf, mal mit Ananas, mal mit brennender Wunderkerze darin. Wenn man will, kann man aber auch die Espresso-Arbeit als Auseinandersetzung mit Fotografie lesen: Lay fragt nach dem Verhältnis von Bild und Wirklichkeit. Dafür verlässt er ausgetretene Gattungspfade und spielt mit intermedialen Verweisen zwischen Skulptur, performativem Akt und Fotografie.
Will man nach einer Tendenz suchen, hat man sie damit vielleicht gefunden. Die technologischen, abbildenden und konstruierenden Möglichkeiten der Fotografie formen längst selbst die Wirklichkeit. Künstler experimentieren in diesem Feld der technischen Reproduzierbarkeit dessen, was uns als wirklich erscheint.
„Nichts ist so, wie es scheint“, schreibt die Initiatorin des Wettbewerbs, Josefine Raab, in ihrer Einführung zur Ausstellung. „Das Nichterfüllen von Erwartungen, das Nichteinlösen von Versprechen, das Nichteinhalten von Konventionen, das Nichtgeschehen des Vorhersehbaren, das Nichtsein des Geahnten, des Daseins“ ziehe sich wie ein roter Faden durch die gezeigten Arbeiten.
Besonders eindrücklich spielt Anna Domnick mit Sein und Schein in der Serie „Calm II“. Die Absolventin der Fachhochschule Bielefeld inszeniert abwechselnd Landschaften und Körper, zu sehen sind aber vor allem pastellige Farbflächen. Bei näherem Hinschauen entpuppen sich horizontale Streifen am unteren Bildrand als Wald oder Gebirge, die Fläche darüber als Himmel. Eine andere Fläche kann der Betrachter nur dank ein paar weniger, schemenhaft zu erkennender Leberflecken als Haut identifizieren. Auf einem Bild versinkt ein Körper in milchigem Wasser. Körper und Landschaften verschmelzen. Wie der Maler Mark Rothko in seinen abstrakten Farbflächen oder der japanische Fotograf Hiroshi Sugimoto in seinen fotografischen Studien, in denen Meer und Himmel häufig nur durch einen zarten Strich am Horizont auszumachen sind, schafft Domnick Raum für meditative Kontemplation und entschleunigende Momente in der schnelllebigen Gegenwart.
Die künstlerische Dokumentarfotografie bleibt mit drei Gewinnerbeiträgen eines der wichtigsten Genres der jungen deutschen Fotografie. Stephanie Steinkopf, Absolventin der Ostkreuzschule für Fotografie, entführt den Betrachter nach Manhattan, das in Brandenburg. So nennen die Leute in einem Dorf zwei Plattenbauten, die idyllisch auf einer grünen Wiese liegen. Steinkopf hat die Bewohner porträtiert, über vier Jahre hinweg ging sie ein und aus. Kulisse: abblätternde Raufasertapeten, überquellende Aschenbecher, Matratzen voller Flecken, Bierflaschen, Schnapsgläser, Plüschtiere. Mal spürt man Mitleid, mal bewundert man die Bewohner Manhattans auch ein bisschen.
Da ist die Frau, die in ihrer abgewohnten, aber sauberen Küche voller Zärtlichkeit eine kreisrunde Salamischeibe auf eine Brotscheibe legt. Da ist der Junge mit säuberlich gekämmtem Haar, der in einem Zimmer voller Pappkartons mit einem Ball spielt. Und da ist die fröhliche Truppe, die trinkend am Tisch sitzt, während im Hintergrund ein kümmerlicher Weihnachtsbaum unter einer dicken Schicht Lametta einzuknicken droht. Steinkopfs Serie ist nicht dokumentarisch im strengen Sinn, Lebenswelt und Protagonisten sind echt, Posen und Situationen inszeniert. Irgendetwas stimmt da nicht, merkt der Betrachter. Das verleiht der Serie „Manhattan – Straße der Jugend“ eine geheimnisvolle Qualität, ähnlich wie bei den gestellten Szenen des Fotografen Philip-Lorca diCorcia. Nichts ist so, wie es scheint. Und irgendwie ist das doch der Zustand, der am ehesten dem Lebensgefühl einer Gegenwart entspricht, die voller inszenierter Wirklichkeiten steckt.
■ „Gute Aussichten – Junge Deutsche Fotografie“, Deichtorhallen Hamburg, noch bis zum 23. März
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