: Ein Punktsieg für die Islamisten
LIBYEN Nach einem illegalen Ölexport wird Übergangspremier Seidan gestürzt. Zwischen Milizen aus dem Westen und dem Osten kommt es zu einer bewaffneten Konfrontation
AUS TRIPOLIS MIRCO KEILBERTH
Der neue libysche Übergangspremier heißt Abdullah al-Thinni. Das Parlament wählte den Verteidigungsminister am Dienstag überraschend zum Nachfolger von Ali Seidan, der sich ins Ausland absetzte. Er hatte zuvor mit 124 von 138 Stimmen ein Misstrauensvotum verloren.
Der 11. März wird trotz der demokratischen Abwahl als Rückschlag in die libyschen Geschichtsbücher eingehen. Denn der Föderalistenbewegung gelang am Morgen der erste illegale Ölexport. Und in Muammar al-Gaddafis ehemaligem Verwaltungssitz Sirte kam es erstmals zu Kämpfen zwischen Milizen aus der Cyrenaika im Osten des Landes und aus Westlibyen, wo die Hauptstadt Tripolis liegt.
Der Sturz von Seidan ist ein klarer Punktsieg der konservativ-religiösen Milizen und der Muslimbrüder. Über Monate hatten sie versucht, den liberalen, aber uncharismatischen Seidan zu stürzen; einmal wurde er sogar kurzzeitig entführt.
Al-Thinni tritt sein Amt in der wohl kritischsten Phase seit dem Sturz Gaddafis an. Wie schon Seidan wird er sich nicht gegen die mächtigen Milizen auflehnen können. Al-Thinnis Sohn war letztes Jahr von einer militanten Gruppe monatelang verschleppt worden und kam unter ungeklärten Umständen wieder frei.
Das Parlament beschloss zudem, die drei von Föderalisten besetzten Ölhäfen im Osten Libyens gewaltsam zurückzuerobern. Bereits Stunden später kam es in Sirte zu Kämpfen zwischen den gegen staatlichen Zentralismus protestierenden Cyrenaika-Kämpfern und ehemaligen Revolutionären aus Misrata.
Föderalistenchef Ibrahim Jatran hatte den Flughafen von Sirte mit 80 Pick-ups besetzt, um seinen handstreichartigen Ölexport im 200 Kilometer entfernten Hafen al-Sidra abzusichern. Seine Männer zogen sich schließlich vor der 3.000 Mann starken Übermacht aus Misrata zurück, der sich auch Einheiten der Minderheit der Tobu aus der Sahara angeschlossen haben.
Noch in der Nacht zum Mittwoch eilten die Stammesältesten der Cyrenaika-Provinz in den Küstenort Adschdabija, wo Jatran im Juli 2013 sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Obwohl viele Stämme Ostlibyens die Besetzung der Ölhäfen kritisch sehen, einigten sie sich angesichts des bevorstehenden Angriffs aus Misrata binnen einer Stunde auf eine Erklärung und riefen alle Milizionäre zu den Waffen. „Wir stehen alle hinter Jatran und sind bereit, für die Cyrenaika zu kämpfen“, sagte ein Stammesältester am Telefon. Aktivisten in Bengasi, die seit zwei Jahren unter Anschlägen zu leiden haben, sehen die Lage fatalistisch. „Der 11. März 2014 ist der erste Tag des libyschen Bürgerkriegs“, sagt Chefredakteur Ibrahim Shebani. Hoffnung macht, dass das Parlament für den Frühsommer Wahlen beschlossen hat. Und die Handelsmetropole Misrata wird sich wohl nicht mit dem Osten anlegen, wo 70 Prozent der libyschen Ölvorräte liegen.
Die Hauptforderung der Hafenbesetzer, Transparenz des Ölexports, wäre zudem leicht erfüllbar, sagen Mitarbeiter der nationalen Ölgesellschaft NOC in Tripolis. Jatran wirft ihr Unterschlagung und Korruption vor. Eine internationale Schlichtungskommission könnte wie im Irak den Export überwachen.
Aktivisten fürchten jedoch, dass Libyen längst zum Schauplatz eines Machtkampfs zwischen Dschihadisten, Muslimbrüdern und Liberalen geworden ist. Die Grenze zu Ägypten wurde kürzlich geschlossen, da die ägyptischen Behörden das Einsickern von Terroristen aus Libyen beklagen, die in der Cyrenaika Trainingscamps unterhalten.
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