: Musikalische Mordgeschichten
ROCKMUSIK In Sachen Mittelalterrock kann man Subway to Sally nichts mehr vormachen. Mit ihrem zwölften Album „Mitgift“ legt die Potsdamer Band noch einmal blutig nach
VON THOMAS WINKLER
1894 erschoss ein gewisser Peter DeGraff in Winston-Salem, North Carolina, seine ehemalige Geliebte. Die Tat gestand er erst, als er schon unter dem Galgen stand. Von 1918 bis 1924 ermordete Fritz Haarmann 24 Jungen und Männer auf denkbar bestialische Weise. Der sogenannte Werwolf von Hannover wurde 1925 mit dem Fallbeil hingerichtet. 1998 wurde in Wien die zehnjährige Natascha Kampusch von dem arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt, acht Jahre lang gefangen gehalten und missbraucht. 2006 gelang ihr die Flucht, Priklopil beging Selbstmord.
Es sind grausame, gruselige Geschichten, alte Mörderballaden und neuere Kriminalfälle, die Subway to Sally vertont haben für ihr aktuelles Album „Mitgift“. Elf Songs, in denen Sänger Eric Fish in die Haut von Mördern und Vergewaltigern, enttäuschten Liebhabern und verzweifelten Seelen schlüpft, eingeleitet von einer bedrohlich rockenden Version des aus dem Mittelalter stammenden Liedes „Ad mortem festinamus“. Übersetzt heißt es „Wir eilen dem Tod entgegen“ und darf getrost als Motto von „Mitgift“ verstanden werden. Beraten lassen hat sich die siebenköpfige Band in der Umsetzung ihres mörderischen Konzeptes von Lydia Benecke, Kriminalpsychologin und Gattin des aus Funk und Fernsehen bekannten Kriminalbiologen Mark Benecke. Dass Subway to Sally ein ganzes Album lang konsequent die Täterperspektive einnehmen, das wird zwar dem Kriminalitätsopferverein Weißer Ring nicht gefallen. Das Album, das daraus entstanden ist, den Fans der Band dafür umso mehr.
Denn die müssen sich nicht sorgen. Auch beim bereits zwölften Studioalbum der 1990 in Potsdam gegründeten Band gibt es keine grundsätzlichen Veränderungen im Klangbild, das in den vergangenen Jahren so erfolgreichen war. Wieder mal spielen die Sallys, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt werden, jene patentierte Mischung aus knarzenden Metal-Riffs und altertümlichen Einflüssen, polternden E-Gitarren und hysterischen Dudelsäcken, mit der sie zu Mitbegründern des notorischen Mittelalterrocks wurden. Einem typisch deutschen Phänomen, von dem sich die Band nun schon seit Jahren so hingebungsvoll wie schlussendlich erfolglos zu distanzieren versucht.
Denn schon seit Langem verkündet Eric Fish, der eigentlich Erik-Uwe Hecht heißt, dass man rauswill aus der Mittelalterecke. Tatsächlich ist die Band längst groß genug, nicht mehr auf Mittelaltermärkten auftreten zu müssen. Problemlos füllt man die mittelgroßen Hallen in der ganzen Republik. Der Mittelalterrock darf getrost als größter popkultureller Exportschlager aus den neuen Bundesländern gelten. Die Sallys waren nicht nur bei seiner Entwicklung in der Nachwendezeit dabei, sondern haben – nicht zuletzt durch die publikumswirksame Konkurrenz zu ihren Berliner Erzfeinden von In Extremo – für seine Popularisierung gesorgt.
Zu populär ist dann aber auch nicht gut. Stellvertretend für die Band erzählte Sänger Fish dem Internetportal laut.de, dass er „aufgrund der wachsenden Population an Dudelsäcken auf den Bühnen dieses Landes eigentlich keinen Bock mehr“ auf Sackpfeifen habe. Auf „Mitgift“ aber ist das Signaturinstrument des Mittelalterrock dann doch wieder deutlich zu hören – neben Drehleiern und Fiedeln natürlich. Die Band weiß eben, was sie ihrer Kernklientel schuldig ist, versucht aber auch, ein paar neue Elemente einzuschmuggeln. Bei einigen Songs experimentiert sie mit elektronischen Beats und einem langwierigeren Spannungsaufbau, aber die Veränderungen bleiben doch marginal.
Mit Kindermörderstimme
Folgerichtig suchen die einzelnen Bandmitglieder Abwechslung vom erfolgreichen, aber eingefahrenen Konzept. Gitarrist und Songschreiber Michael „Bodenski“ Boden stand Ende der Nullerjahre hinter dem Charterfolg des niedlichen Gothic-Pops von Eisblume, Schlagzeuger Simon Michael komponiert zum Ausgleich Kinderlieder, und auch Eric Fish macht sich immer wieder als Solist selbstständig. Seinem schmusigen Akustikpop steht allerdings oft seine grob gekörnte Kindermörderstimme im Wege.
Die passt tatsächlich besser zu den blutrünstigen Songs von „Mitgift“, mit denen Subway to Sally nun endgültig auch inhaltlich die Vergleiche mit Rammstein bestätigen, die sie schon nahezu ihre ganze Karriere lang begleiten. Mal regnet es Blut, mal bittet Fish einen Gast in sein „Haus aus Schmerz“, mal liegt der Protagonist „In kaltem Eisen“. Die Texte hat vornehmlich der studierte Germanist Bodenski gedichtet, und in der ersten Single „Schwarze Seide“ lässt er Fish gar die Freuden der Nekrophilie besingen. Im Videoclip dazu sieht man die Band, wie ihr ein kunstvoller Scherenschnittfilm vorgeführt wird, in dem die Geschichte ihres eigenen Songs erzählt wird. Trotzdem erschrecken sich die Musiker, als es zwischen Grabräuber und skelettierter Geliebter zur Sache geht. Ist das schon Angst vor der eigenen Courage? Oder bloß vor dem Weißen Ring?
■ Subway to Sally: „Mitgift“ (Universal). Live am 24. 4. im Huxleys
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen